Die Welt als zoologischer Garten
Warum gibt es dieses Buch auch nach sieben Jahren immer noch nicht als Taschenbuch? Hallo? Ja, warum gibt es nicht einmal eine Hörbuchfassung, ist nicht einmal eine Neuauflage dieses außergewöhnlichen literarischen Brockens angekündigt? Weil das Buch zu dick ist? Okay, über 1000 Seiten können abschrecken, aber sie sind durchaus luftig gesetzt. Und knapp 600 Seiten locken doch oftmals geradezu die Leserinnen und auch die Leser an. Fehlen vielleicht Sex and Crime? Nein. Witz? Im Gegenteil. Zeit- oder Gesellschaftsbezug? Alles vorhanden. Ist der Preis zu hoch? Vielleicht. Andererseits erhält dafür man fünf literarische Werke in einem. Das Buch ist nämlich Liebesroman, Kriminalroman, historischer Roman, Komödie und faustisches Drama zugleich – und streckenweise auch noch Briefroman. Nicht mit 5 PS wie seinerzeit Kurt Tucholsky, sondern auf einer fünfspurigen Autobahn kommt diese ungewöhnliche Geschichte daher.
Martin Kluger, der inzwischen mit weiteren, schmaleren Romanen – insbesondere mit „Die Gehilfin“ (2006) – auf sich aufmerksam gemacht hat, entwirft und beschreibt in seinem fundamentalen Epos eine abgeschlossene Welt, die fast ausschließlich im Berliner Zoo spielt. Dabei gelingt es Kluger in mitreißender Weise dank geschickt eingebauter Figuren, wie des 1897 in Ostafrika geborenen, sprechenden Graupapageien Schiefhals, fast hundert Jahre deutscher Geschichte einzufangen. Den zentralen historischen Handlungsstrang bildet dabei die Liebesgeschichte zwischen der litauischen Halbjüdin Jael Glickstein, die als Pressefotografin arbeitet, ehe sie eines Tages spurlos verschwindet, und dem Angestellten eines Reisebüros, Karl-Walther Kadamecki. Sie spielt in Berlin zur Zeit der Olympischen Spiele 1936 und stellt das Rückgrat des Romans dar. Auf der Hauptbühne am Ende der 70er Jahre gibt das Zooensemble aus Mensch und Tier eine sehr unterhaltsame Tragikomödie. Der herrschsüchtige Zoodirektor und sein teuflischer Gegenspieler, der geheimnisumwitterte Professor für Schmerzforschung, bestimmen das wunderliche Treiben innerhalb des Tierparks mit seinen ausufernden Festen und ungewöhnlichen Räumen wie den aufgelassenen Aquarien. Die weibliche Hauptrolle füllt Dorothee Matthes aus, die schnell als Doktorandin sowie als Zoohure Karriere macht und den rätselhaften Tod der beiden Vorgängerinnen des Zoodirektors aufzuklären versucht. In besonderer Weise präsent sind zudem die Titel gebenden abwesenden Tiere, zu denen neben Sali, dem Persischen Leoparden, vor allem „Adler“ zählt, die „entflohene“ Ehefrau des Zoodirektors.
Wilhelm Pauli formulierte seinerzeit in der Literaturbeilage der „Zeit“ eine euphorische Lobeshymne: „Man muss dieses schier tropisch wuchernde Buch einfach lieben, dieses feine Gespinst aus Poesie, Zärtlichkeit und rüden Ausbrüchen, diesen Kosmos aus Tier- und Menschenmagie, in den die gesellschaftlichen Zustände fast eines Jahrhunderts, von keinesfalls milder Ironie übergossen, hineinverwoben sind wie rankende Parasitengewächse.“ Doch sein begeisterter Ausruf verhallte offenbar ungehört.
Vielleicht war die Zeit noch nicht reif für dieses Wunderwerk. Versuchen wir jetzt also noch einmal, darauf aufmerksam zu machen. Dieses außergewöhnliche Buch kommt selbst daher wie ein exotisches Tier: groß, unförmig, schillernd, sich hin und her wendend und schließlich zupackend. Das besonders Schöne dabei ist, man kann dieses Tier anfassen, kaufen und überall mit hinnehmen. Vorzugsweise auch aufs Sofa und ins Bett. Tun Sie es! Sie werden es als reizvolles Haustier lieben lernen.
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