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Kritik

Im Grundton des Meeres

Mathias Jeschkes sinnlicher Gedichtband „Der Fisch ist mein Messer“
Hamburg

„Verlasse das Land, / doch verleugne nie deinen Hafen. Dein Hafen ist dein Ernährer.“

Diese Zeilen aus dem Gedicht „Lotsenhaus“ stehen im ersten Kapitel des Buches und geben gleichsam die Richtung vor, die der Leser beim Lesen der Gedichte einschlägt. Der in Stuttgart lebende Autor nimmt den Leser mit auf eine lyrische Reise zur Schlei, nach Lissabon, Korsika, Großbritannien und Südafrika, wobei ihn unverkennbar die Sehnsucht in maritimen Gefilden lenkt. Da er zwischendurch aber auch immer wieder Landzungen berührt, kommt dem Wort Hafen eine doppelte Bedeutung zu.

So heißt es in „Port“, einem seiner „Seestücke, Shanties“:

„Schwankende Wanderung / durch das dämmernde Viertel / hinter dem Hafen, // das in den Vorgärten / verborgene England. Die Leute / wirken, als stammten sie aus // anderen Lichtverhältnissen.“

Aber Hafen bedeutet gleichzeitig Herkunft, Kindheit  wie sie in „Spiegelung“ sehr sinnlich beschrieben werden:

„Jede Kindheit: ein flurriger See. / Siehst du hinein, erblickst du dich ungefähr selbst. / Alles andere – was hineinsank, / was herausstieg – könnte dich atzen. / Du tauchst hinab auf den Grund, / im schlammig-glitschigen Dunkel tastest du - / und greifst in ein schlafendes Gesicht: // Du am Ufer, erwachsen, / siehst dich selbst. Ein fünfjähriger Junge / mitten im birkenumstandenen See“.

„Sixtythree“, sein Geburtsjahr, beschreibt Mathias Jeschke folgendermaßen:  

„Im Radio The Car was the One/ erzählt aus dem Jahr, in dem du / zur Welt gekommen bist. / John F. Kennedy hatte in Berlin gesprochen, / Nelson Mandela war verhaftet worden. / Am Vortag hielt Martin Luther King / beim Marsch auf Washington seine Rede.“

Viele Gedichte müsste man in diesem Zusammenhang anführen. Beispielsweise das mit dem ironischen Titel „Propyläum“, das ebenfalls von seiner Jugend handelt:

„Zwischen den Pfosten stehst du und glühst, / vibrierst, die Hände vergrößert, / magnetisch, die Muskeln wach. / Wenn du den Ball nicht hältst, /meckern die Gesträhnten und Toupierten / von ihren petunien- und geranienbewehrten Balkonen.“    

Mathias Jeschke und seine Gedichte sind  in der Welt zu Hause. Er  kann von Alltäglichem erzählen, von Leuten, „die dir zu nahe treten“ oder er beschreibt in einem seiner zahlreichen schönen Bilder eine Landstraße, auf der „der schwarze Handschuh / einer angefahrenen Krähe, die Finger / bizarr gespreizt“ hat.  Neben den Geräuschen der Stadt dem „Jazz so smooth“ oder dem „Drive aus dem Kassettendeck“, ist es dann aber doch immer wieder das Meer, das ihn anzieht. Denn, so zitiert er Thomas Mann, „Das Meer ist keine Landschaft, es ist das Erlebnis der Ewigkeit, des Nichts und des Todes, ein metaphysischer Traum.“ Und, so möchte man ergänzen, es ist ein Element, das Grenzen aufzeigt. Grenzen, die das lyrische Ich (das, genauer gesagt, bei Mathias Jeschke meistens ein Du ist) nicht nur beschreibt, sondern auch reflektiert und als Erkenntnisse wahrnimmt. Als ein Beispiel sei das Gedicht „Ghost“ zitiert:

Glühende Sonnenhitze und / Brandgeruch über der Kaninchenheide / auf dem Weg nach Land’s End. // Finis terrae. Endland. / Der Küste vorgelagert wächst / Longship Lighthouse // aus der See, an dem sich / die Wellen die Zähne ausbeißen. Schatten sind wir die //von Aufgang reisten und Richtung / Untergang peilten. Hier / nimmt alles festen Boden // unter den Füßen haben ein Ende. / Auf diesem letzten Felsen, / Sprungstein in die Endlichkeit.“

Die Meergedichte haben manchmal einen melancholischen Ton, aber gerade der macht ihre Poesie aus. Da gibt es die Zeile von der „leise verstreichenden Zeit.“ oder es heißt „Nichts vergeht, alles bleibt.“ Das Gedicht über eine Eisfahrt, bei der „in der Koje auf Höhe / der sonst dort verlaufenden / Wasserlinie, das Eis schabt“  beschreibt die „Furcht mit dem Spiel, // die dazugehört, wann immer / das einzelne, dünnwandige Leben / dem Unmittelbaren begegnet.“

Mathias Jeschke, der auch Herausgeber der LYRIKPAPYRI in der Edition Voss im Berliner Horlemann Verlag ist, wählte für seinen Gedichtband „Der Fisch ist mein Messer“, vielleicht eine etwas ironische Anspielung auf den Satz von Wolfgang Weyrauch „Mein Gedicht ist mein Messer“, den dieser als Überschrift eines Essays zu seinem Gedicht „Atom und Aloe“ gewählt hat und dazu erklärte, er dürfe nicht stumpf werden.

Wie auch immer der Titel des Lyrikbandes gemeint ist, stumpf sind die Gedichte von Mathias Jeschke jedenfalls nicht. Im Gegenteil.  In dem Gedicht über „Hueys“, die amerikanischen Hubschrauber, die im Vietnamkrieg eingesetzt wurden, heißt es: „Wer Gedichte schreibt, hinterlässt Schweigen, / aber keine Toten.“ Für den vorliegenden Gedichtband gilt, dass es ein Schweigen ist, das nachklingt.

Mathias Jeschke
Der Fisch ist mein Messer
Edition Azur
2014 · 96 Seiten · 16,90 Euro
ISBN:
978-3-942375-08-5

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