Zwischen Moment und Ewigkeit
Fünf Jahre bereits sind seit der Veröffentlichung von Matthias Buths letztem eigenständigen Gedichtband mit dem Titel „Der Rhein zieht eine Serenade“ (2010) verstrichen — die große Sammlung „Weltummundung“ von 2011, von der noch zu sprechen sein wird, soll hier einmal nicht mitgezählt werden —, keine sonderlich lange Frist will einen bedünken, denn bis sich so ein Band nach und nach aus kleinsten Weltteilchen zusammengesetzt hat, aus Beobachtungsatomen, Empfindungsmolekülen, vergeht mitunter — man möchte es mit gewissem Recht das ‚Lyrische Paradoxon’ nennen — viel mehr Zeit als zum Beispiel ein romandickes Epos benötigt, seine Handlungsstränge ordentlich zu entfalten. Was in diesen fünf Jahren entstand, ist nun bis zu beinahe demselben Umfang angewachsen wie die genannte Auswahl aus insgesamt vier Jahrzehnten und darf vielleicht den Rang eines Summum Opus beanspruchen.
Kathleen Raine hat einmal — freilich nicht als erste und nicht als einzige — sehr klug und zutreffend beobachtet, im Vorwort zu ihren Gesammelten Gedichten, daß es Autoren gebe, die sich ihr Leben lang nur an wenigen Stoffen in immer neuen Formen abarbeiteten, und daß es Autoren gebe, die über die Weite des Blicks verfügten und alles mit nur jeweils einem Gedicht thematisierten. Zur letzten Kategorie gehört unbedingt auch Matthias Buth, dessen hungriges Auge überallhin schweift und streift. Schon seine „Weltummundung“ hat die Gedichte zu thematischen Gruppen geordnet, dort aber mehr in der lockeren Form einer Suite; im zur Besprechung stehenden Band reihen sie sich indes gleichsam „streng, wie ein Kondukt“, vier Sätze mit genauer Abfolge des thematischen Materials und überraschendem Auftauchen der Motive. Der erste Abschnitt verhält sich, in Relation zum Ganzen, wie eine Art Exposition, aus Brucknerschem Urnebel tauchen Kindheitserinnerungen auf, werden die Grenzen der vertrauten Umgebung abgesteckt; der zweite Teil verbindet Naturmotive mit dem Gang der Jahreszeiten; der dritte sodann, molto capriccioso, geht hinaus ins Weite, nach Afrika, in den Balkan, in den Nahen und Fernen Osten und anderswohin; es folgt ganz buchstäblich der „Rückflug“ — „Auf geduldigen Wolken / Die Lüfte weiden // In dieser Aluminiumhöhe sind / Die Gebirge mundnah“ — ins Nähere und Nächste, wobei alte Themen aufgegriffen und in eine abstraktere, metaphysisch durchhauchte Region geführt werden —: ein hohes Wort, nicht unzutreffend jedoch, denn von Gott ist hier die Rede, von den Letzten und einer hübschen Menge Vorletzter Dinge, vom erfrischenden und vom ewigen Schlaf, und natürlich auch vom Schreiben, von der Musik, auf ihre je eigene Weise ins metaphysische Gewebe geknüpft. Dabei bleibt der Autor zum Glück allem Schwulst abhold.
Morgennebel schwärzt die Autobahnen
Reifengischt am Heck
Schlägt auf die ScheibenWolken
Landlose Landschaften die die Augen besiedeln
Bringen Sicherheit in höhere Regionen
Buth beherrscht das kunstvoll verdichtete Parlando, das Emphase nicht mit fuchtelndem Gestus verwechselt, einfach und kurz gehaltene Additionen, verbunden mit prosanah aufgeteilten Zeilen, in die sich wie ein schmückendes Ornament dann und wann ein Reim einschleicht. Selten läuft es einmal auf einen Plot hinaus, meist sind die Gedichte wie der Rahmen um ein Bild, das man am Ende der Seite einfach wieder ohne großes Aufhebens verlassen muß. Bedächtige Ruhe ist ihr besonderes Kennzeichen, unter deren Oberfläche jedoch Melancholie, Skepsis, auch Zorn brodeln, aber niemals das schrill anklagende Wort —da macht sich womöglich der bezähmende Einfluß der Jurisprudenz bemerkbar, Buths zweiter Alltags-Profession, die Abstand hält zu den Emotionen niederer Provenienz. Die Metaphern entwickeln sich unaufdringlich, können sich aber durchaus zur synästhetischen Ekstase aufschwingen, wie etwa „Früh“ im Frühling:
Die ersten Klarinetten sind gepflanzt
Und blühen gelbmoll an den Häuserwänden
Manchmal klagen sie tief
Wie nach einem Stich
Und vergessen ihr Ebenholz
Taxis sehen kurzsichtig herüber
Nomaden seien seine Gedichte, hat Matthias Buth einmal gesagt, und das stimmt tatsächlich insofern, als es da kaum einmal Ankunft in allgemeinen Aussagen gibt — auf der Sicherheit der Allgemeinplätze sozusagen —, denn wertvoller ist ihm das genaue Einschreiben des konkreten Jeweils. Beweglich zu bleiben ist wesentlich, so wichtig wie wolkenverschwistert zu sein. Mundus, die Welt, der Weltkreis, ist ummundet, von Sprache nämlich, vom menschlichen Äußerungsorgan; dabei vermeidet Buth das Rauhe, das Grobe, verirrt sich nur an ganz wenigen Stellen, so beim „Hochamt“, ins Schlagzeilenhafte, ihm sind die feinen Pastellbilder lieber, die nichts gewaltsam abschließen müssen. So bleiben Geist und Auge offen für neue Eindrücke, denn: „Schreiben ist anfangen gegen alle Vernunft“.
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