Tischtennis und die Sirene am Mittwoch
„Also noch mal von vorn... Erst so … Und dann aber … Genau … Das ist der Trick... Verstehe...“ Und dann: „Zinnnnng!“. Fast. Aber jetzt: „Poff! Pamm! Bonk! Ting Pong Ping.“
Ja, wir sind in einer Comicwelt, da macht es schon mal „Zinnnnng!“ Und „Poff!“ Zumindest, wenn Mirco seinem Freund Torsten Maslowski einen Tischtennistrick zeigt, den sie danach natürlich auch gleich ausprobieren müssen. Gegen zwei üble Angeber. Aber denen kontern sie mit der „Angabe des Todes“. Und dann wird es spannend. Das Spiel scheint Stunden zu dauern, es fängt an zu regnen, die Zuschauer gehen, aber die vier spielen weiter. Bis einer der Angeber auf den einzigen Ball tritt: „Das hast du mit Absicht gemacht! Weil du Angst hast zu verlieren!“ schreit Mirco. Eine wüste Schlägerei ist die Folge.
13 Jahre alt sein ist nie witzig, war es auch nicht in der DDR. Es ist eine immer Gratwanderung zwischen Kind und Erwachsener: Mädchen sind interessant, machen aber aber auch Angst. Selbstbewusstsein entwickeln ist auch nicht immer ganz einfach, sich durchsetzen lernen und zu sich zu stehen. So geht es jedenfalls Mirco Watzke. Er geht in die siebte Klasse, ist schüchtern und stottert und kriegt vieles nicht auf die Reihe. Er trägt eine Brille und hat wenig Freunde, er ist ein echter „Schisser“. Ein Versager. Als Schüler, als Messdiener, als Jungpionier und auch im Ferienlager. Es sind die letzten Tage vor dem Fall der Mauer. Aber das interessiert ihn nicht so sehr wie das Tischtennisturnier, bei dem er mit Torsten wieder im Doppel spielen will. Ein Riesenereignis, sogar Angela will mitspielen, Angela Werkel, mit rotem Halstuch, Oberpionierin der POS Tamara Bunke.
„Kinderland“ ist der neue Comic von Mawil, der wie Mirco in der DDR aufgewachsen ist und meist autobiografische Geschichten erzählt. Verfremdet natürlich, denn er war dunkelhaarig, Mirco dagegen ist blond. Es sind einfache, alltägliche Geschichten eines Schuljungen, dem die ständige Indoktrination ziemlich egal ist – so ist er eben aufgewachsen.
Mawil erzählt das mit einfachen, aber sehr dynamischen Zeichnungen, die auch schon mal in Richtung klassischen Manga gehen, wenn die Schlägerei in vollem Gang ist. Seine Figuren sind lebendig, voller Charakter, die er nur andeuten muss, seine Geschichten wechseln gekonnt und in einem schönen Rhythmus zwischen düster (in der Kirche z.B.) und hell (Spielplatz). Dabei wird der Alltag immer mitgeliefert, die Trabbi, die kaputten Straßen, die Sirenen mittwochs um 1, um die sich niemand kümmert (einmal fragt Mirco: „Was passiert, wenn der Westen wirklich Mittwochs angreifen?“), die NVA-Jacke des Sportlehrer, die Ketwurst und die Westschallplatten.
Es ist eine sehr einfühlsame, spannend erzählte Geschichte eines 13-Jährigen, der langsam erwachsen werden will, es aber noch nicht ist, der sich mit seinem besten Freund streitet und durch Blutsbrüderschaft wieder versöhnt, der durch die DDR läuft wie so viele, ohne groß nachzudenken über die Politik, weil er es eben nicht anders kennt. Und dem auch der Westen mit seinem Riesenangebot nicht gefällt, weil ihn die Maueröffnung am Turnier mit seinem Freund gehindert hat. Und da nützt ihm auch die neue Tischtenniskelle nichts, die er bei Woolworth gekauft hat.
Ganz zu recht ist diese sehr ausführlich ausgebreitete, spannende und witzige Graphic Novel in Erlangen jetzt zum besten deutschsprachigen Comic erklärt worden.
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