Städte und Ahnungen
In den Gedichten von Michael Arenz ist Alltag, vollzieht sich gewöhnliches Leben. Wie etwa beim Spazierengehen durch eine beliebige deutsche Großstadt wird der Leser mit einer Fülle von Bildern, Wortfetzen und Eindrücken konfrontiert, die ihm unmittelbar das Gefühl vermitteln, selbst Teil des Geschehens zu sein. Viele dieser Fragmente des Wirklichen sind dem Leser nur allzu vertraut, der Wiedererkennungseffekt ist also groß, und dennoch bildet Arenz Wirklichkeit nicht einfach nur ab, sondern filtert sie sorgfältig, um sie sodann in neue, überraschende Zusammenhänge zu stellen. Dabei geht es ausdrücklich nicht um schnelles Begreifen. Keineswegs fügen sich seine Versatzstücke im Prozess ästhetischer Formung zu einem organischen Ganzen, sondern sie bleiben, auch im Gedicht, was sie nun einmal sind: Teile in einem zerfallenen oder zerfallenden Ganzen, einem prekären gesellschaftlichen Status quo, der von tiefer Unsicherheit und Desorientierung geprägt ist. Obschon Arenz die Sinnfrage niemals direkt stellt, hat sie sich in seine Gedichte eingeschrieben, leise, unterschwellig, hartnäckig – ohne indes jemals der Gefahr zu erliegen, womöglich aufdringlich oder belehrend zu wirken.
Seine Bilder kommen auf Taubenfüßen einher, wie nebenbei, dabei sind sie in ihrer Qualität oft sehr heftig. Allerdings ist der Leser, gewöhnt an die Heftigkeit der allgegenwärtigen Sinneseindrücke, denen er im Alltagsleben ausgesetzt ist, kaum mehr in der Lage, sie als das zu erkennen, was sie eigentlich sind: eine ununterbrochene Vergewaltigung von Augen, Ohren und Gemüt.
Das genau aber tut der Autor für uns. In dem kurzen Gedicht Lichterloh etwa wirft er einen tiefen Blick in die leeren Gläser eines sinnlos betrunkenen Abends und findet an deren Grund Krematoriumsglut welche die kalte Wut der Städte heizt. Wo die Menschen keine Worte für ihr Ungenügen haben, kommt automatisch Gewalt ins Spiel die Vorstellung/ was man mit einer Axt/ alles machen könnte/hier und jetzt wie es in dem gleichnamigen Gedicht heißt.
Alles vollkommen normal. So ist das Leben, wie wir es alle kennen und Tag für Tag beobachten und an ihm teilhaben. Die Frage ist allerdings: Wollen wir so leben?
Natürlich stellt Michael Arenz diese Frage nicht direkt – niemand darf es ja heute wagen, sich des Verdachts auszusetzen, womöglich als Moralist daherzukommen - allerdings legt er sie nahe. In Noch nicht ganz, aber fast spricht er in den wunderbaren Schlusszeilen aus, worum es eigentlich geht, nämlich darum durch die Schrecken dieser Welt / in das Zentrum der Erlösung vorzustoßen. Hinter den Maskeraden des Alltäglichen scheint eine Dimension auf, die in der deutschsprachigen Lyrik der Gegenwart nur selten einen Ort hat. Den Schlüssel zum tieferen Verständnis seiner Gedichte liefert der Autor selbst, und zwar durch das dem Bändchen vorangestellte Zitat von Aharon Appelfeld – Das Alter bringt den Menschen sich selbst und den geliebten Toten näher. Die Toten bringen uns Gott näher. - und das letzte, kurze Gedicht mit dem Titel An wen : An wen/ wenn nicht/ an uns/ soll sich/ Gott wenden/ mit seinem/ Schmerz.
Von der Verantwortung für sein Leben kann man, so lese ich dieses Gedicht, keinen Menschen entbinden, verbirgt sich doch in ihr über das Persönliche hinaus die umfassendere Verantwortung für das Leben an sich. Oder, wie es im Schlusssatz von Uwe Johnsons Skizze eines Verunglückten heißt: Und doch, so die Antithese, vollzieht das menschliche Leben sich am einzelnen Ich, oder verfehlt sich daran. Nirgends sonst.
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