Jubilierende Amseln und tote Tiere am Wegesrand
Der Schauspielstudent Moritz Schoppe, das literarische Alter Ego des Autors, kommt 1964 nach Wunsiedel, wo er bei den Luisenburg-Festspielen sein erstes Engagement hat. Der junge Mann, der zum ersten Mal von seiner Mutter getrennt ist, fühlt sich unglücklich im „finsteren“ Wunsiedel, der verschlafenen Kleinstadt inmitten einer herben, erst auf den zweiten Blick reizvollen Landschaft des Fichtelgebirges. Am Theater findet er nicht die erhoffte Anerkennung und erlebt zudem die Unruhe und den Schmerz seiner ersten Liebe. Nach 44 Jahren kehrt er nach Wunsiedel zurück, um das Geschehene und seine Entwicklung seither Revue passieren zu lassen.
Die Verlassenheit und der Schmerz des jungen Mannes werden im Verlauf der Schilderung gut nachfühlbar. Stadt und Umgebung beschreibt Buselmeier präzise und durchaus liebevoll, auch später in ihrem Verfall. Stellenweise dominiert die Naturromantik; sehr viel ist von Käfern, Bienen und dem Jubilieren der Amseln die Rede, was gebrochen wird durch weniger poetische Einschübe wie das Auffinden toter Tiere am Wegrand oder den Anblick eines Autohauses, das „die Landschaft versaut“. Auch die Bewohner sieht Buselmeier/Schoppe aufmerksam und weitgehend vorbehaltlos mit Ausnahme einiger Seitenhiebe auf den „gebellten“ Dialekt oder seine zurückhaltenden Vermieter, die „geborenen Randfiguren“. Als sprachsensibler Mensch hätte der Autor merken müssen, dass in Wunsiedel keineswegs Fränkisch gesprochen wird.
Die poetischen Spaziergänge durch Stadt und Umgebung lesen sich sehr angenehm. Schwer erträglich sind dagegen die Passagen, wo sich der junge Mann über die Theaterwelt äußert. Die anderen Schauspieler, Regisseure usw., durchweg erfolgreicher als er selbst, sieht er als ausnahmslos unfähig und fühlt sich zu Unrecht in die Außenseiterrolle gedrängt. Mehrfach beklagt er sich, dass man ihm Arroganz vorwirft; an diesen Stellen musste ich beim Lesen erheblich grinsen. Im zweiten Handlungsstrang, als er 44 Jahre später an den Schauplatz zurückkehrt, hat man den Eindruck, dass seine Entwicklung nicht sehr weit gediehen ist, als er auf dem Friedhof die ehemaligen Regisseure an ihren Gräbern verhöhnt.
Eine gewisse Selbstüberschätzung des Autors mag sich auch darin ausdrücken, dass er das 150-Seiten-Buch mit der einlinigen, knappen Handlung als „Theaterroman“ bezeichnet und mit zahllosen Rechtschreibfehlern veröffentlicht hat. Ich habe es trotzdem sehr gerne gelesen, was aber daran liegt, dass ich einen großen Teil meines Lebens in Wunsiedel verbracht habe und die Stadt mag.
Eine Sache für sich ist das Cover des Buches. Es zeigt im Vordergrund eine Herkulesstaude (Heracleum mantegazzianum), eine giftige Pflanze, die in den letzten Jahrzehnten aus Tschechien in den Landkreis Wunsiedel vorgedrungen ist. Da sie die einheimische Vegetation zerstört und in Tschechien bereits ganze Landstriche verwüstet hat, wird sie von den Einwohnern verzweifelt mit allen Mitteln bekämpft. Auf dem Cover wurde sozusagen der Schandfleck Wunsiedels ins Zentrum gerückt. Im Buch wird die Pflanze nirgends erwähnt und war zur Zeit des ersten Handlungsstranges hier noch gar nicht zu finden. Man kann nur hoffen, dass das Foto in Unkenntnis der Sachlage ausgewählt wurde, sonst müsste man es als Unverschämtheit verstehen.
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