Was bleibt
Die Gedichte Michael Hillens sind Momentaufnahmen. Gleich ob er sein dichterisches Objektiv auf Dinge oder Menschen richtet, immer geht sein Bemühen dahin, sie in ihrer Essenz zu erfassen, ihrem unverbrüchlichen Kern, von dem aus sie in ihrer inneren Dimension erkannt werden können. In diesem Sinne handelt es sich um Meditationen, die vom Lebendigen und dessen Vergänglichkeit handeln, aber auch von seinem Nachwirken. So lautet das Gedicht unnachgiebig: wie unnachgiebig/der walnußbaum/ die warme jahreszeit beendet/ mit dem reifwerden/ seiner früchte,/ wie unnachgiebig/der winter fragen wird/ was wir im sommer/ getan haben.
Das verdichtende Wort wird hier als Innehalten begriffen, als Möglichkeit, in einer sich ständig verändernden oder verwandelnden Wirklichkeit Atem zu holen, zu sich und den Dingen zu kommen. Das heißt, ihnen die Aufmerksamkeit zu zollen, die sie verdienen, aus dem einfachen Grunde, weil sie sind oder waren.
Die Eigenart und besondere Qualität der Gedichte Michael Hillens liegt in der Zurückhaltung, mit der er seine eigene Stimme in den Dienst des Beobachteten stellt, indem er sich diesem gleichsam von Mal zu Mal anverwandelt. Worum es geht, ist der Gesang der Dinge, wie Rilke ihn in seinem Gedicht Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort eindringlich beschwört, ihr möglichst uninterpretierter Nachhall im ästhetisch Geformten, dem Gedicht.
Die Haltung Hillens ist mimetisch, ohne jedoch der unvermeidlichen Reibung, die der Kontakt mit der Wirklichkeit verursacht, auszuweichen. Ausdrucksstark ist in diesem Zusammenhang das Gedicht dorniges haupt: dieser nebensatz/der die rede erst/ kenntlich macht/ dieser eine nebensatz/der abrupt sein/ dorniges haupt erhebt/ und alles gesagte/verwundet.
Als Reaktion oder Antwort auf die Wirklichkeit ist das Gedicht unauflöslich in diese verwoben: als Einladung neue, unbekannte Räume zu betreten, in denen die Erscheinungen der materiellen Welt ihre absolute Geltung verlieren, ihren immanenten Zwang zu konformistischer Aneignung. Die Federleichtigkeit von Michael Hillens Gedichten erschließt die Vielfarbigkeit und den Schattenreichtum der Phänomene und Konstellationen. Ihr Ort ist die Schwelle: Sie sind Antwort und Frage zugleich.
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