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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Verabredung zum Ertrinken mit Mikael Vogel

Eine Hosentasche Regen oder als wir Flugschokolade waren.
Hamburg

Die Himmel nach ihren Spionagesatelliten absuchen
Für ein paar Schnappschüsse von unserer Liebe

Morphine lautet der Titel des Gedichtbandes von Mikael Vogel, nach Massenhaft Tiere sein zweiter Gedichtband im Verlagshaus J. Frank. Und entsprechend dem Titel handeln viele der Gedichte von Schmerzen und Schmerzmitteln. Die Liste der Schmerzmittel ist lang – Alkohol, Morphium, Opium, Kokain, oder auch:

Danke Bayer für den leckersten Hustensaft aller Zeiten: Heroin
[…]

Nicht Orpheus wird in den Gedichten besungen, sondern „O Morpheus“.

Die Sprache von Mikael Vogel fließt und strömt, zieht einen unwillkürlich mit sich. Der Gedichtband beginnt mit einem Gedicht, welches man durchaus als Handlungsanweisung lesen könnte:
Charlie-Parker-Elegie

Mit seh-, mit
Wissenden
Schritten im neuen
Anzug ins alte, verschmutzte

Meer –

Einfach sehenden Schrittes gänzlich eintauchen, untergehen, versinken..

[...] in

Ein Gähnen von
Meer [...]

..um sich von den Unterströmungen der Sprache weitertreiben zu lassen, von Gedicht zu Gedicht. Dieses Weitertreiben wird auch darin ausgedrückt, dass die Gedichte nie mit einem Punkt enden, sondern die Enden mehr öffnen, als schließen – mit einer offenbleibenden Klammer, einem Bindestrich oder einem unerklärt bleibenden, doch absolut überzeugendem, wie gerauntem Wort –
Wimpernschnee

Dass es aber auch durchaus gefährlich werden könnte, lässt sich schon an den Kapitelüberschriften ablesen, denn diese lauten: GIFTSCHRANK, MESSERFISCHE, PISTOLEN, SCHLANGENHÄUTE, FLAMINGOS SNIFFEN, GLÜCKLICHE ZAHLEN und BLUT DER MURÄNEN. Das allerletzte Kapitel, DIWAN, enthält Illustrationen von Hanna Hennenkemper. Und selbst das Inhaltsverzeichnis ist nicht ganz so harmlos, wie man meinen könnte. Denn es trägt die Überschrift „RISIKEN UND NEBENWIRKUNGEN“ – doch diese Warnung kommt eindeutig zu spät, hat man an dieser Stelle doch schon 133 Seiten von risikoreicher Lyrik mit suchtpotential hinter sich.

Beziehungen sind das zentrale Thema der Gedichte, doch handelt es sich dabei vorwiegend um gescheiterte Beziehungen, voll Wut, Gewalt und Verzweiflung:

[…] Als ich auf dem Fahrrad mit zugepreßten Augen
Über die Kreuzung raste um dich im Zusammenprall wiederzu-

Spüren, im zersplitternden Glas und Zer-
Schmettern der Knochen, die Musik des Zerbrechens zuendezu-

Hören. […]

Die Wunden verheilen nicht, es handelt sich durchwegs um offenbleibende Wunden, die auch immer wieder neu aufgerissen werden. Aufgerissen und verletzt wirken auch viele der Gedichte und doch sind sie unheimlich stark in all ihrer Zerbrechlichkeit. Am schmerzvollsten und schwersten zu ertragen sind die Gedichte, die nicht von eigenem Leid, sondern vom Leid anderer handeln. Völlig hilflos sieht man sich einem opiumsüchtigen Vater gegenüber..

[...], in angstgeweiteten Augen jahrelanger Tod [...]

..oder einem selbstmordgefährdetem Freund:

Als ich fortging und nicht wußte ob

Du schon fast neben mir auf dem
Asphalt zer- – die vage Hand des Abschieds. [...]  

Messer und Waffen sind oft vorzufinden – Messerblüten, Bombenkrater, Minen, Stacheldraht, oder Messerfische beispielsweise. Liebe wird als Kampf beschrieben:

[…] – die Pistolen in meinen Gedichten, Bewaffnungen
gegen deine

Rückkehr, dein Ausbleibendbleiben, Verlaine und Rimbaud

Das Problem, den anderen verstehen zu wollen, aber unvermeidlich daran scheitern zu müssen, wird immer wieder thematisiert:

Poetik des Wartens.. du ergibst einfach keinen
Sinn. […]

Oder, in einem anderen Gedicht:

[…], ich fühle dich weiter-

Lächeln auf meinem
Gesicht, du ergibst immer noch keinen Sinn, […]

Schon ganz zu Beginn wird vernichtete Kunst und Selbstvernichtung bzw. –aufgabe thematisiert: Van Gogh, welcher sein Ohr als Geschenk überreichte, die von Kleist selbst verbrannten Manuskripte, oder Brian Duffy, der die Negative seiner Fotographien im Hintergarten anzündete. Und entsprechend finden sich dann auch im ersten Kapitel zwei „vernichtete“ Gedichte, von welchen nur noch der Titel erhalten ist:  „Gehirnsand“ und „Gedichte für die Luft- und Raumfahrt“. Jedoch findet man die Luft- und Raumfahrt doch noch an anderer und durchaus unerwarteter Stelle im Gedichtband, im Gedicht mit dem Titel:

An die kleine, sich an
meinem Scotch betrinkende Eintagsfliege

Dieses Gedicht beginnt ganz großartig mit den Worten:

Plötzlich stehst du zwischen mir und dem letzten
Schluck. […]

Nicht von ungefähr hat gerade diese Eintagsfliege den letzten Schluck so bitter nötig, was im Gedicht ausführlich erläutert wird. Dabei taucht auch wieder die vormals vernichtete Luft- und Raumfahrt auf:

[…] Im Flug weichst du geschickt
Allen Regentropfen aus, ohne Flügelschlag sinkst du fallschirmartig – aber
Am abend erwartet dich das Zerschmettern. Solche Vergeudung von
Luft- und Raumfahrteleganz! […]

Viele Gedichte in Morphine von Mikael Vogel haben den Blues – den Warteschleifenblues, den Blutbankenblues oder den Samenbankblues zum Beispiel. Und auch ein „Innerstädtisches Bluesgedicht“ gibt es:

Innerstädtisches Bluesgedicht

Blutunterlaufene
Straßen für unbelehrbare
Augen die dich immer noch überall suchen, die

Seele mit dem Botox deines Fehlens anfgefüllt

Zahlen und Mathematik kommen sehr häufig in den Gedichten vor. Doch dabei handelt es sich um keine vorhersehbaren, berechenbaren Zahlen, sondern um eine unlösbare Fiebermathematik, oder auch um eine schmerzvolle Nesselgiftmathematik. Diese führen nicht zu einem verrechnen, sondern zu einem zerrechnen. Die Fieberhaftigkeit wird schon in den Titeln deutlich zum Ausdruck gebracht:

Das wirre Atelier der Verlassenheit, deines
Fehlens, du hast mir das Denken mit deinen
Zahlenfiebern verfiebert

Oder auch im anschließenden Gedicht mit dem Titel:

Der Logarithmus von unserer Zerschmetterung
zur Basis unserer mondgeschüttelten Körper,
ich zerrechne mich noch immer an
deiner Fiebermathematik

Und nach so einem Titel mögen chaotische Dezimalreihen oder wilde Ungleichungen kaum mehr verwundern:

[…], chaotische Dezimalreihen.. du löst noch immer
Alptraumserien in mir aus, wilde Ungleichungen […]

Manche Gedichte tragen überhaupt keinen Titel, andere nur ein einziges Wort und wieder andere Titel sind eigentlich schon eigene Gedichte für sich:

-  roch und roch an den bitteren
Blüten des Vergessens
doch sie vermochten dich nicht zu
überstrahlen

Und auch der nächste Titel birgt die Gefahr in sich, dass man bei ihm hängenbleiben und mitunter ganz darauf vergessen könnte, weiterzulesen:

Die Überdosis deiner Abwesenheit in
meinen Adern ist immer noch zuwenig und
ungefähr zuviel

Viele Gedichte brechen die Sprache gleichsam auf. Dabei zerbrechen die Gedichte jedoch keineswegs, sondern halten gerade in ihrer Zerbrechlichkeit nur umso stärker zusammen.

[...] Die angebroch-
Enen Sätze, zerstammelten Gesten und Bewegungen – [...]

Gelegentlich entsteht der Eindruck, als habe man es mit vertauschten (verhörten) Worten zu tun. Gerade in leichten Verschiebungen entsteht plötzlich Freiraum und Energie für Beweglichkeit und Assoziationsspielraum:

[...] Zimmer voller Ver- und
Anzeihungen: [...]

Brüche in der Sprache reißen Gräben bodenloser Möglichkeiten auf. Mikael Vogel lässt die Worte selbst sprechen und die Sprache zu Wort kommen. Worte klingen in anderen echogleich nach:

[...], welche Wellen zerschellen dein Lachen, [...]

Oder spiegeln sich ineinander, wie die Worte am Ende des Gedichts „Im Bermudazweieck“:

[...] Fremde ein-
Ander aneinander nur weiter ent-

Fremdend, schreckliches Design.. bei besten Wettern
Spurlos in dir verschwunden – ver-

Gesse mich daran zu er-
Innern mich zu erinnern nicht zu ver-
Gessen wie sehr du mich immer ver-

Gißt

Viele der Worte bedingen einander wechselseitig, könnten keinesfalls gegen andere ausgewechselt werden. Im nächsten Zitat beispielsweise lässt sich „reflektorischer“ auf „Reflektierender“ zurückführen, oder umgekehrt. Welches Wort aus welchem entstand, lässt sich nicht sagen, scheint ähnlich unlösbar, wie die Frage nach dem Huhn oder Ei:

[...] dann

Reflektierender Herzstill-
Stand – reflektorischer Stimmritzenverschluß, [...]

Bei den Gedichten Mikael Vogels lohnt es sich, genau hinzuhören und –sehen. Die „nacht“ im folgenden Zitat ist beispielsweise nämlich keineswegs aus Versehen kleingeschrieben, sondern dem nachfolgenden „nach“ angeglichen, nimmt es gleichsam schon vorweg:

[...] Die Welt heute nacht, nach
Deiner Subtraktion
Ist blank wie Nervendrähte [...]

Die Gedichte arbeiten auch stark optisch mit ihrer ganz besonderen Auf-

Teilung über die Seite hinweg, wobei Worte bewusst geteilt und Leerzeilen sehr effektvoll eingesetzt werden. Die Teilung der Worte ist mitunter unerwartet, aber immer bedeutungsgeladen. Die wiederkehrende Kursivierung einzelner Worte oder Satzteile vermittelt den Eindruck, als flüsterte eine weitere Stimme aus den Gedichten heraus.

Morphine ist nach Massenhaft Tiere der zweite Gedichtband von Mikael Vogel beim Verlagshaus J. Frank. Morphine wirkt im Ganzen wesentlich ernster, verzweifelter als Massenhaft Tiere. Die Gedichte in diesem Band sind „ein Bekenntnis zum Schmerz“, wie es im Klappentext heißt. Trotz der Unterschiedlichkeit der beiden Bände lassen sich doch viele Anknüpfungspunkte zu Massenhaft Tiere finden. Im Detail lässt sich dies am Wiederaufgreifen einzelner Motive nachverfolgen, beispielsweise Tattoos oder Orpheus. Schon in Massenhaft Tiere sah sich Orpheus im Gedicht „Lunatic Blues“ einer psychisch kranken Eurydike gegenüber:

Arschkarte, Orpheus: Eurydike ist ver-
Rückt, schlicht und ergreifenslos psychisch krank, Taranteln durch-
Weben ihr
Haar radioaktiv mit Zeit.. inmitten ihrer Schatten-
Systeme, toxischen Flüsse des Vergessens – [...]

Und auch in Morphine taucht diese Konstellation erneut auf:

[…] Wie
Holt O. Eurydike aus der

Psychiatrie, inmitten von Verschwindens-
Symmetrien, von Sprachrestwald […]

Aber auch im Großen schließt Morphine an Massenhaft Tiere an. Mikael Vogel ist ein Autor, der seine eigene Sprache bereits vor langem gefunden hat, das wird schnell deutlich, vergleicht man die beiden Gedichtbände miteinander. Auch wenn die einzelnen Gedichte natürlich sehr unterschiedlich sind, so sind sie doch immer eindeutig von Mikael Vogel. Ein ganz besonderes Sprachgefühl und ein sehr feines Gespür für den Klang der Worte zeichnet die Lyrik von Mikael Vogel aus.

[…], oder rechne dir noch

Immer bis ins Unendlichstellige nach, suche nach dem Muster das dich er-
Klären könnte, deine Primzahlenseele, unzer-
    
Teil-, unvorhersehbar

Mikael Vogel
Morphine
Illustrationen: Hanna Hennenkemper
Verlagshaus J. Frank
2014 · 13,90 Euro
ISBN:
978-3-940249-98-2

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