Gramselnder Schauder des Gewöhnlichen
Die Natur ist ein Umgebnis, das unmittelbar zum Lebensraum und zur täglichen Anschauung gehört; als lyrisches Sujet ist sie deshalb so wichtig wie jedes andere auch, das uns prägt und betrifft. Die in Wien lebende Dichterin Monika Vasik hat nun einen Band mit insgesamt fünfundsiebzig Naturgedichten zusammengestellt, die in gar keiner Weise eine Verteidigung gegen den (manchmal leider noch immer aufkeimenden) Generalverdacht signalisieren, es würden darin die heilen Idyllen von Grenzgängern und Weltabweislern heraufbeschworen, sondern im Gegenteil sehr souverän und selbstverständlich, nüchtern und diesseitig, „abseits jeder romantik“, eine Betrachtung der Natur, wie sie überall vorhanden ist, unternehmen.
Die Gedichte in dem Band „himmelhalb“ sind großenteils Visualisierungen. Monika Vasik beobachtet und beschreibt, und was sie beobachtet und beschreibt, sind Szenen in der Natur, mit der Natur, aus der Natur. Das bedeutet: nicht nur entleerte und entlegene Landschaften, sondern jene Elemente, die auch in der Stadt, im Garten, beim Blick aus dem Fenster oder auf einem Spaziergang anzutreffen sind. Aus dieser Selbstverständlichkeit rührt eine stille Kraft her, eine intensive Annäherung, ein lebhaftes und überaus lebendiges Bannen eines Moments, zur Wieder- und Wiederbetrachtung auf die Buchseite geworfen, schlicht und zugleich sehr kunstvoll, so wie Miniaturen oft mehr Kraft ausstrahlen als wandfüllende Panoramen.
Die Gedichte sind offen, unabgeschlossen, Skizzen, die eher die Möglichkeit der Reflektion als deren tatsächliche Ausführung zeigen; aber keinesfalls unfertig, denn als ästhetische Gebilde sind sie allemal in sich stimmig. Monika Vasik besitzt ein ungemein gutes Gespür für artistische Leichtigkeit, die Balance nämlich zwischen verständlicher Aussage und sprachlich komplexer Einkleidung. Niemals drohen die Gedichte in ausgeblichene Phrasen auf der einen oder verquasten Kitsch auf der anderen Seite umzukippen.
meerselig dies
ist nur ein stummel
wort einer hirnsaat
im sonnenguss
der voll pathos
durch uns hindurch
lüstert leichten sinnes
Selbstkritik und sprachliche Kontrolle verzahnen sich aufs Effektivste. Beim Durchblättern springen darum allerhand originelle Formulierungen ins Auge — „vogelfehler“, „kahlgebleichte wogenschwebe“, „fledermaushimmel, „schattenwärts im grimm“, „sommerhitzeüberfall“, „kläffende zäune“ sind nur einige davon —, aber niemals in einer Weise aufdringlich, daß der Eindruck eines gezwungen auf modisch-modern getrimmten Stils entstünde. Dasselbe trifft auf die dezent eingestreuten Wortspiele („unsere neurosen öffnen sich / blühn beim verwegenen / keckern einer elster“) und auf die nicht ganz gewöhnliche Verwendung von Verben zu („als bibbernd wir / durch wald und wald / durch wiesen feld / patschnass / nach hause grippten“).
Die Natur in Monika Vasiks Gedichten beginnt im Kleinsten, bei den Vögeln, Blumen, Insekten, Muscheln, den Tageszeiten und den Jahreszeitenphänomenen, im Schrebergarten, vorm „miezhaus“ [!], im Wald, am Meer, und darin steckt vielleicht auch eine Kritik an der gegenwärtig vorherrschenden Wahrnehmungsweise, die Oberflächen in allzu großer Zahl überhuscht:
beiläufig in all der unrast
wissen wir viel über die
sirrenden seiten der welt
aber über jene zeitlose
der butterblumen nichts
Zeitkritik in solcher Deutlichkeit vermeidet der Band ansonsten jedoch; im Grunde sind die Gedichte vielmehr eine Feier der Wahrnehmung, als würden Herz und Hirn zusammen aus dem Fenster sehen, aber ohne in pathetische Allumarmung auszubrechen, bloß nüchtern darüber staunend, wie schon mit wenigen Zeilen alles ans Weiteste gebunden werden kann:
wie alles leicht von meer
beinahe unbemerkt geschieht
lupinenbrandung blauviolette
galaxien bis übers knie
Die Gedichte selbst besitzen bereits hohe sinnliche Qualitäten, emotionale Stimulantien, deshalb wirkt es wie eine Doppelbelichtung, wenn jedem Gedicht eine (zum Teil verfremdete) Photographie gegenübergestellt ist, zumal sie nicht selten das Gedicht direkt illustrierend wiederholt. Eigentlich bedarf es dessen nicht, wenigstens nicht in dieser schlagenden Fülle; die Eigenstärke von Monika Vasiks Gedichten reicht vollkommen aus. Diese Eigenstärke schließt mit ein, daß das lyrische Ich in den Hintergrund treten darf, als beobachtende, dichterisch ordnende Instanz, ohne bemerkbare Einbußen an Empfindungen, Empfindsamkeiten. Mit „himmelhalb“ liegt eine sehr ansprechende und gelungene Sammlung vor, die es in den besten Zeilen mit A.R. Ammons’ Kurzgedichten aufnehmen könnte, ein echter Triumph der modernen Naturlyrik und ein Plädoyer für die Fähigkeit des Gedichts, Schönheit zu dokumentieren.
Fixpoetry 2015
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Kommentare
Monika Vasik, himmelhalb
Die wunderbarsten Wortbildungen, die gerade für uns im Ausland faszinieren. Wir verlernen über die Jahrzehnte, was möglich ist, welch souverän lyrische Bilder durch die Neologismen entstehen. Bereichernde Geschenke. Danke!
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