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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Auf ein Eis nach Magog, auf ein Abenteuer nach Ibiza

Hamburg

Dies ist kein neuer Roman von Mordecai Richler (1931-2001), dem jüdisch-kanadischen Großromancier, obwohl man sich immer wieder noch einen wünschen würde.  Dies ist eine sehr gelungene neue Übersetzung von Gisela Stege des 1980 erschienenen Buches Joshua Then and Now Damals kannte jeder bereits Die Lehrjahre des Duddy Kravitz (und Generationen wurden mit diesem tollen Buch, The Apprenticeship of Duddy Kravitz, in Seminaren über kanadische Literatur bekannt gemacht).  Immer wieder erschien ein neuer Traum von einem Roman, etwa Solomon Gursky war hier (Solomon Gursky was Here, 1990) und Wie Barney es sieht (Barney’s Version, 1998).  

Richler ist in mancher Hinsicht ein altmodischer Erzähler, in anderer durchaus postmodern in der Mélange von Erzählweisen und Erzählstilen.  Aber was immer er ist, er ist immens lesbar.  Hier ist ein geborener Geschichtenerzähler, der Komik mit Tragik, Farce und Drama miteinander verwebt.  Richlers Thema, neben anderen, ist die Rolle des jüdischen Kanadiers in einer mal franko-, mal anglokanadischen Welt, vornehmlich in Montréal und seinen gesellschaftlichen Gegenwelten, etwa das jüdische Einwandererviertel um die Straße St. Urbain gegenüber dem wohlhabenden Outremont oder dem angesagten Örtchen Magog. Es sind, wie hier, die klassischen Entwicklungsgeschichten von Emporkömmlingen in einer Welt der Arrivierten und Alteingesessenen.  Aus der dauernden Reibung dieser Kulturen entsteht die Spannung, aber auch der Witz der verwickelten Handlungen.  Die Seiten dieser Bücher sind zugleich randvoll mit detaillierten Lebenswelten und der handfesten Sprache ihrer schillernden Bewohner.  Mordecai Richler ist nicht nur ihr Notar, sondern auch ihr Dramaturg.

Wenn etwa Ruben Shapiro – ehemaliger Boxer und fingerbrechender Geldeintreiber für einen Gangster namens Colucci – seinem jungen Sohn Joshua ein Aufklärungsgespräch halten will, geht das mäandrierend und natürlich nicht ohne ausführliche biblische Bezüge:

„Esau war ein prachtvoller Bursche, ein Jäger, der seinem Dad Wildbret zum Essen brachte. Aber der Jakob, sein Bruder, das war so ein verschlagener kleiner Gauner, ein Muttersöhnchen, ein eifersüchtiges. Eines Tages jedenfalls kommt Esau, ganz schwach vor Hunger, von der Jagd nach Hause und bittet seinen Bruder um etwas zu essen. Und Jakob, ein echtes Outremont-Früchtchen und immer auf der Suche nach Möglichkeiten, wie er weiterkommen kann, Jakob also sagt, wenn du was essen willst, verkauf mir dein Erstgeburtsrecht. Und der arme Esau, der schon fast umkommt vor Hunger, verkauft ihm tatsächlich sein Erstgeburtsrecht gegen ein bisschen Brot und Suppe. Und später macht Jakob, dieser hinterhältige Mistfink, mithilfe seiner Mutter, diesem Biest, etwas noch viel Schlimmeres. Als der Alte stirbt, ist ihm Esau, so ein dicht behaarter Kerl, immer noch lieber als unser schöner Mr. Milch-und-Honig. Da geht Jakob zu ihm hin – der Alte ist blind – und legt ihn rein, tut einfach so, als wäre er Esau, und der wird wieder von diesem Laban reingelegt, so einem richtig Ausgefuchsten, als er bei dem eine Frau für sich sucht. Damals durfte ein Hebe übrigens mehr als eine Frau haben, und auch Konkubinen, das sind so Huren, und wenn eine Frau ihm keine Kinder schenken konnte, boten sie ihm die Dienstmagd zum Bumsen an, ganz einfach so.“

Es ist schwer, so eine Passage in Ruben Shapiros am Gegenstand vorbeiquasselnden jüdisch-englischem Argot angemessen wiederzugeben. Doch gelingt dies der guten Übersetzerin, so gut es im Deutschen eben geht.  Der Text wird etwas verhaltener, manchmal etwas weniger obszön in manchen Wörtern, aber doch so direkt wie es literarisch bei uns möglich scheint.  

Joshua damals und jetzt lebt, wie der Titel andeutet, aus seinen Vor- und Rückblenden.  Er ist, wie schon Duddy Kravitz, ein komischer Entwicklungsroman, der in Kanada, England und – Joshua ist ein Chronist des spanischen Bürgerkriegs – in Spanien und auf der spanischen Insel Ibiza spielt. Er ist ebenfalls eine durchgängig schmerzhafte Auseinandersetzung mit dem Milieu und den Denkweisen, denen man zu entkommen sucht, dem bösen Schicksal des eigenen Volkes, das weiter seinen Schatten wirft, und dem Milieu und Habitus derer, die auch nicht besser als die eigenen Leute sind.

Mordecai Richlers pikareske Romane sind, unter seinen Zeitgenossen, am ehesten mit den ähnlich angelegten und ähnlich locker strukturierten Romanen von Saul Bellow zu vergleichen. Man denkt etwa an The Adventures of Augie March oder Humboldt’s Gift. Doch auch viel von der Intellektualität (und den intellektuellen Zweifeln) des Moses Herzog in Bellows Herzog sind bei Richler zu finden. Allerdings sind Richlers Texte sprachlich saftiger, witziger und unverblümter als die seines Landsmannes Bellow.

Dem zukünftigen Leser von Mordecai Richlers Joshua damals und jetzt steht ein mitreißendes Lesererlebnis bevor. Eine Zusammenfassung der Handlung ist in jedem Literaturlexikon und auch online zu finden.  Sie kann jedoch der Vielschichtigkeit des Textes und dem puren Vergnügen des eigenen Leseerlebnisses nicht gerecht werden.  Ich schlage vor, man nehme das Buch und ziehe sich an einem Wochenende damit zurück, auf die Couch, ins Bett, in die Badewanne oder gehe mit dem Buch vor der Nase lachend durch den Park.

Mordecai Richler
Joshua damals und jetzt
Aus dem Englischen von Gisela Stege
Liebeskind
2014 · 544 Seiten · 24,80 Euro
ISBN:
978-3-95438-033-6

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