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Kritik

Eine Entscheidung, die keine ist.

Hamburg

Wenn Naomi Klein ein Buch schreibt, dann hört ihr die globale Linke frenetisch zu. Bereits ihre Analysen “No Logo” und “The Shock Doctrine” gehören zu Klassikern der modernen Kapitalismus-Kritik. Kaum jemand schafft es zugleich in lesbarer Prosa und detaillierter Darstellung einen Bogen zu schlagen, der emotional wie faktisch überzeugt. Diese Überzeugung hängt direkt mit Naomi Kleins Persönlichkeit zusammen. Die Journalistin und Autorin ist Überzeugungstäterin. Als die Wortführerin einer sich bildenden Front gegen die globalen Konsequenzen und Auswüchse eines Systems, wird sie nicht nur gehört, sondern regt zum Aktivismus an. Naomi Klein ist damit nicht nur eine brillante Denkerin, sondern eine der wichtigsten Aktivistinnen der Gegenwart. Und sie hat sich einem der wichtigsten Themen unserer Zeit gewidmet: dem Klimawandel.

In den sechs Jahren, in denen sich Klein mit “Die Entscheidung: Klima vs. Kapitalismus” beschäftigt hat, hat die Menschheit wichtige Jahre verloren. Die bereits einsetzenden Veränderungen des globalen Klimas sind kaum noch zu verlangsamen. Klein macht in ihrem Buch unmissverständlich klar: die Entscheidung ist eigentlich keine. Wenn wir nicht bald handeln, dann wird das Leben, wie wir es jetzt auf diesem Planeten kennen, nicht mehr möglich sein. Dann wird der Kapitalismus zusammenbrechen, weil das Wirtschaften, wie wir es jetzt betreiben, schlichtweg nicht mehr möglich sein wird. Dann trifft sich die Entscheidung von selbst: das Klima wird den Kapitalismus beenden und mit ihm einen Großteil der Menschheit.

Warum aber in einem System leben, das seine Versprechen auf ein besseres Leben nicht halten konnte und zugleich dafür sorgt, das innerhalb der nächsten 50 Jahre so große Veränderung auf uns zukommen könnten, dass wir das größte Artensterben seit 65 Millionen Jahren erleben werden? Klein macht klar, dass diese Entwicklung das Ergebnis der Industrialisierung und einer bestimmen Ideologie ist. Die Entfesselung der Märkte geht mit einer rücksichtslosen Ausnutzung der Natur einher. Die Ideologie dahinter: Ressourcen sind nicht zu schonen, sondern der Planet ist uns untertan und muss extrahiert werden. Alles zum Zweck der Maximierung der Profite - eine dogmatische Idee, die nicht in Frage gestellt werden darf. Diese Maximierung kommt dabei einer kleinen Elite zu Gute, die die Politik und Ökonomie der letzten 150 Jahre bestimmt hat. Die Umverteilung nimmt dabei billigend in Kauf, dass die Anhäufung von Kapital bei wenigen das Leiden vieler auslöst. Die nachweisbar direkt mit dem Klimawandel zusammenhängenden Naturkatastrophen nehmen von Jahr zu Jahr zu und zerstören nicht nur das Leben vieler Menschen, sie zerstören auch ihre Lebensgrundlage. Die Perversion dieses Systems liegt darin, dass der globale Norden, der 20% der globalen Weltbevölkerung ausmacht, für 70% der Emissionen verantwortlich ist. Hinzu kommt, dass die derzeit sichtbaren Konsequenzen des Klimawandels von Jahr zu Jahr zunehmen und dennoch die Mühlen der verantwortlichen Staaten und Unternehmen zu langsam mahlen, um dagegen vorzugehen. Schlimmer noch: es fehlt am Willen zu Veränderung. Das Ende der Geschichte, in den 1990ern wirtschafts-philosophisch von Francis Fukuyama vorhergesagt, verkehrt sich in eine selbsterfüllende Prophezeiung. Die Gier des Westens könnte tatsächlich das Ende der Geschichte sein, denn ob in 100 oder 200 Jahren noch Menschen auf diesem Planeten leben ist zum ersten Mal in der Geschichte nicht mehr klar.

Naomi Klein gelingt es in einfachen Worten und mit schockierenden Beispielen, die Ausmaße der uns bereits dämmernden Katastrophe zu beschreiben. Sie ist niemals abstrakt, stets konkret. Dabei reflektiert sie ihre privilegierte Position, ihren Zugang zu Wissen und Ressourcen. Ihre Umtriebigkeit ist zugleich Träger und Ergebnis ihrer Arbeit. Niemand anderes als eine anerkannte und gefragte Journalistin könnte ein Buch mit derart großem Rechercheaufwand zu Papier bringen. Und kaum eine andere Journalistin hätte sich so intensiv mit dem Thema befassen wollen oder können. So global dieses Thema ist, so vielseitig sind die Schauplätze des Dramas, zu denen Klein uns mitnimmt. Die Belange der indigenen Bevölkerungsgruppen Kanadas werden intensiv diskutiert und dargelegt: hier gibt es Verträge, die vor über 100 Jahren geschlossen wurden, noch weit vor dem Kapitalismus in seiner entfesselten Form also. Die Verträge zwischen Kanada und den Stämmen sehen vor, dass die Stämme frei über ihr Land verfügen können. Damit ist ihnen ein wirksamer Mechanismus gegen die Zerstörung der Umwelt gegeben, der für global agierende Unternehmen ein Hindernis in ihrer Gier nach mehr Ressourcen ist. Die indianische Bevölkerung wird deswegen mit falschen Versprechen umgarnt, mit Geld gelockt, nur um die Profite einer Industrie zu steigern, die zu den größten der Welt gehört. Eine Industrie so groß, dass sogar eine amerikanische Umweltschutzorganisation so weit geht in einem von ihr zu beschützenden Reservat selbst nach Öl zu bohren und die Ausrottung einer Vogelart voran zu treiben.

Nicht selten fällt einem bei der Lektüre von Naomi Kleins bisher wohl umfangreichstem Buch die Kinnlade herunter. Die Autorin gibt selbst zu, dass sie sich zu spät mit dem Thema befasst hat. Zu groß die Angst vor der Wahrheit, zu träge die eigenen Gedanken. Jetzt aber mit der Faktenlage konfrontiert, kann sie nicht mehr aufhören, darüber nachzudenken und dagegen zu kämpfen. Mehr noch: für etwas zu kämpfen - mehr als gegen etwas. Für eine Welt nämlich, die gerechter und weiterhin freundlich für Leben ist, wie wir es kennen. Diese Energie steckt an und überträgt auf den Leser. Die aufgeführten Beispiele von zivilem Ungehorsam und die Verflechtung internationaler Interessengruppen machen Hoffnung auf eine bessere Welt. Sie ist möglich, so die Nachricht. Aber bevor sie möglich wird, zeigt Klein uns akribisch und detailliert, wie schlecht es der Welt eigentlich geht.

Der Umfang des Buches ist immens, das zusammengetragene Faktenwissen und die vielen Jahre, die die Recherche in Anspruch nahm, schlagen sich in den vielen mit Wissen und Emotionen gefüllten Seiten nieder. Es ist schade, dass Klein manchmal abschweift und ihre Argumente zu weit ausholen lässt. Manchmal kommt sie fast schon uns schwadronieren, wiederholt sich oder führt ein weiteres Beispiel für ein Thema ein, das bereits durchgekaut ist. Ihr alarmierender Tonfall schlägt dann in Alarmismus um. Auf eine perverse Art gewöhnt man sich beim Lesen an die Nachrichten der Katastrophe, gibt die Hoffnung auf und ist zuweilen nicht mehr aufnahmefähig. Dennoch kann man das Buch nicht einfach weglegen. Spannender als jeder Thriller und düsterer als manche Dystopie beschreibt Klein, was in der Welt, in der wir noch zu leben fähig sind, passiert. Es ist Naomi Kleins Leistung das Thema Klimawandel zugleich in seiner Komplexität und seiner Faktenlage vor uns auszubreiten. Dabei schafft sie den Spagat zwischen informieren und alarmieren, sodass nach der Lektüre, jeder zum Aktivisten werden muss.

 

 

Naomi Klein
Die Entscheidung
Kapitalismus vs. Klima
Aus dem Englischen von Christa Prummer-Lehmair und Sonja Schuhmacher und Gabriele Gockel
S. Fischer
2015 · 26,99 Euro
ISBN:
978-3-10-002231-8

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