Putzt ganz ungemein
Pflückte man aus dem Text die folgenden Begriffe heraus: Partikularismus, Interdependenzproblem, infiniter Regress, Reduktionismus, Perspektivenwechsel, Universalismusproblem, Infrastruktur, Entropie – man würde von diesem Buch einen völlig falschen Eindruck bekommen. Denn hier geht es um Staub, Fettfilm, Urinstein, Wischlappen, Desinfektionsmittel, Seifenlauge und dergleichen, um die Struktur verschiedener Schmutzsorten und um Strategien des Putzens. Was ist hier los?
Die Philosophin und Braunschweiger Professorin Nicole Karafyllis hat sich ein Thema vorgenommen, das bisher im philosophischen Diskurs, gelinde gesagt, unterrepräsentiert war. Sie eröffnet eine neue Disziplin: die Philosophie des Putzens. Als systematisches wissenschaftliches Werk tritt ihr Buch nicht auf, sondern es ist eine gutgelaunte, freche Rundreise durch alle möglichen Aspekte des Themas, ein flotter Mix aus bürgerlichem Sitten- und Unsittenbild, Ratgeber und Wissenschafts-Satire, garniert mit soziologischen und historischen Querschüssen und persönlichen Auskünften. Entsprechend kurz angebunden und dezidiert ist der Stil. Die verschiedensten Autoritäten von Platon und Aristoteles über Hegel, Nietzsche, Camus, Sartre, Foucault bis zu Elke Heidenreich werden im Fluge zitiert oder erwähnt. Die oben genannten abstrakten Begriffe oder kurze Verweise auf geistesgeschichtliche Traditionen werden gelegentlich einfach in Klammern dazwischengehauen:
Es gibt Reduktionisten unter den privat Putzenden, die sich in zwei Klassen aufteilen lassen: 1.) die Anhänger der Essigessenz und 2.) die Schmierseifen-Fraktion. Beide vertreten den Anspruch, dass sich mit einem Universalreiniger (s. Universalismusproblem) alles reinigen lässt.
Man sieht, hier handelt es sich um alles andere als eine Hausfrauen-Humor-Literatur nach dem Muster „Nur der Pudding hört mein Seufzen“. Es ist vielmehr ein intellektuelles Feuerwerk für gleichgesinnte Mitmenschen, die etwa die Anspielung des Titels auf Niklas Luhmanns „Liebe als Passion“ sofort verstanden haben. Die Adressaten muss man sich also nicht unter Putzfrauen, sondern in den akademischen Kreisen der Autorin denken. Weil sie mit deren Gepflogenheiten und Verlegenheiten bezüglich des Putzens vetraut ist, eröffnet sie das Buch auch gleich mit einer Provokation, nämlich dem Bekenntnis:
Ja, ich putze selber. Und ich putze gerne.
Das darf man ihr wörtlich so abnehmen, denn sie kennt sich in der Materie aus und widmet als studierte Biologin auch mal ein ganzes Kapitel der Hygiene mit Desinfektionsmitteln. Da geht es dann um Proteine von Bakterienwänden, infektiöse Nukleinsäuren, mikrobiostatische oder viruzide Wirkung, Isopropanol und dergleichen. Die Tretminen des Gender-korrekten oder feministischen Diskurses entgehen ihr natürlich auch nicht, aber sie ist souverän genug, um da nicht mit Bierernst die Keule zu schwingen.
Wer hätte gedacht, welche psychologischen und soziologischen Weiterungen sich ergeben, wenn man sich mit Fragen des Schmutzens und Putzens befasst. Da gibt es ideologische Vorbehalte und Fehlschlüsse wie die gedankliche Falle der Auffassung, Putzen sei etwas Sinnloses und Lästiges:
Die Falle liegt in der Einstellung, dass es der Schmutz ist, der einen bestimmt, etwas gegen ihn zu tun. Das ist die Grundlage des Putzspießertums, von links bis rechts. Der Schmutz regiert dann quasi den Putzenden – daran muss Hegel mit seiner berühmten Metapher von Herr und Knecht aus der Phänomenologie des Geistes (1807) gedacht haben.
Die Problemlage des Individualschmutzes, die im öffentlichen Gespräch vermieden wird, führt bis zu politischen Erwägungen:
Zu schmutzen ist ein Menschenrecht, das von allen für alle geschützt werden muss. Dann wäre das Universalismusproblem des Schmutzens von Allen keines mehr, das sich als Putzproblem von Wenigen zeigt. Entweder dürfen alle putzen (Sozialismus) oder die, die für alle putzen, bekommen angemessene Zeit und Entlohnung dafür (Kapitalismus).
Philosophen lieben die Kategorienbildung, und so teilt Nicole Karafyllis die Zeitgenossen in verschiedene Putztypen ein: da gibt es den Hygieniker, der das unerreichbare Ziel Keimfreiheit verfolgt, den Ästheten, dem es genügt, wenn die Oberflächen sauber glänzen, den Funktionalisten, der nur putzt, was gebraucht wird, und sogar den Psychoanalytiker, der auf der Jagd nach verborgenem Schmutz ist. Man fragt sich beim Lesen etwas beklommen, ob man sich zu einem dieser Typen rechnen muss, ob man sich überhaupt von jetzt ab mit solchen Fragen eindringlich beschäftigen sollte oder ob man das Ganze einfach in der Schwebe lassen und wie bisher weiterwursteln darf.
Es ist dankenswert, dass die Autorin das Thema so aufgeräumt und geistreich angeht; vielleicht dient ihr als Antrieb auch eine kleine private Obsession – oder gar Passion, wie der Titel sagt? Das wäre indessen nichts Ehrenrühriges und käme in der Welt der Philosophie und Literatur nicht zum ersten Mal vor.
Möglicherweise besitzen wir ja von Natur aus ein Bedürfnis nach Säuberung, ähnlich wie es schon den jungen Tieren als Instinkt zum Fell- und Gefiederputzen eigen ist. Auch fällt mir eine Passage bei Maria Montessori ein, in der sie von einem Kind berichtet, das die Aufgabe hatte, einen Tisch sauberzuwischen. Das Kind wischte und putzte mit Hingabe, nicht bis der Tisch sauber war, das war er längst, sondern bis es das Vergnügen an der Arbeit ausgekostet hatte. Arbeit, auch Putzarbeit, darf also Spaß machen. Wenn man ihn uns nicht abgewöhnt.
Als einen satirischen Clou dieser blinzelnden Monographie empfinde ich übrigens das Register am Schluss – als ob der Leser noch einmal nachschlagen würde unter Absolution, Beamte, Geduld, Haushalt (!), Klarheit, Revolution oder Wüstensand!
Jedenfalls ein erfrischendes Buch, das sich prima zum Verschenken eignet – vorzugsweise um Feminist(inn)en zu erschrecken...
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