Anzeige
ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
x
ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
Kritik

Von der Inneneinrichtung der Sprache

„Die lyrischen Palimpseste Norbert Langes werden tiefe Spuren hinterlassen in der Lyrik des 21. Jahrhunderts.“ hat Michael Braun über die Gedichte von Norbert Lange geurteilt, der mit „Rauhfasern“ 2005 ein beachtenswertes Debüt hingelegt hatte. Mara Genschel schrieb seinerzeit: „In seinem ersten Gedichtband wetzt Norbert Lange gehörig an den altehrwürdigen Wänden und gelangt zu Schichten, Rissen, Fasern, die in ihrer spröden, dringlichen Schönheit freizulegen sicher nicht möglich wäre ohne eine listige, von gewissem Misstrauen zeugenden [sic] Zerstörungslust.“ Vielleicht war es nicht die Zerstörung, sondern eher der Wille zur Ablösung, das Bedürfnis nach Auflösung. Das läßt sein neues Buch vermuten, das soeben bei Reinecke & Voß erschienen ist.

Norbert Lange hat verschiedene poetologisch relevante Aufsätze aus den letzten Jahren zusammengefasst unter dem Titel „Das Geschriebene mit der Schreibhand“. Man findet darin Statements, die im Rahmen anderer Buchprojekte entstanden und bereits veröffentlicht sind, oder eine essayistische Rezension zur Cowboylyrik, die man so ähnlich schon im poetenladen lesen konnte. Als ensemble bilden sie hier ein komplexes Schwingungsmuster mit brauchbaren Amplituden für eine lebendige Lyrik. Reflektiert, lebensnah, anwesend.

Die philosophischen Schlüsse sind oft sauber und auf den Punkt, aber bisweilen auch nicht zwingend, dabei immer aber so kompetent, daß man nicht ins Leere springt, wenn man weiterdenken möchte. Norbert Lange schreibt:

„Gilt der Satz, daß Sprache das Haus des Seins ist, dann gilt, daß dieses Haus so eingerichtet ist, daß der Blick auf die Inneneinrichtung das Bild des ganzen Gebäudes widerspiegelt.“ Daran ist vieles und nichts wahr. Je nachdem wie man den Satz liest.
Schon Heidegger hat da nicht klar gesehen. Sprache entsteht im Haus des Seins und die Inneneinrichtung ist dafür verantwortlich, welche Sprache entsteht. Sprache an sich existiert nicht, sie ist stets an ein Sprechendes und seinen Kontext gebunden. Daß man sprechen kann existiert. Und das Sein bestimmt, wovon man sprechen kann, je nach evolutivem Status und belebter Nische. Es ist ähnlich wie ein Händedruck, er ist theoretisch jedem möglich, der entwickelte physisch-psychische Kontext erlaubt ihn und jeder übt ihn aus auf ganz eigene Art als individuelle Gebärde. Sprache ist der Händedruck unseres Sprachvermögens. Aber wie es Hände braucht, um einander die Hände zu schütteln, braucht es einen Körper, an denen sie samt Arme aufgehängt sind, ein Körper, der aufrecht durch die Zeit schreitet, und wie es Augen dazu braucht, dieses Schreiten zielgerichtet zu vollführen, so braucht unser Sprachvermögen Augen, Ohren, eine Kehle, es braucht Hirnmasse, sogar Füße. Sonst würden wir anders sprechen. Sonst würden wir sonore Gesänge in den Tiefen der Ozeane singen. Selbst wenn wir einigermaßen die Grammatik unserer Sprache verstehen, haben wir noch keine große Ahnung vom Sprechen an sich.

Das ganze Gebäude sehen wir nie, denn unser Sprechen ist immer eine individuell komponierte Inneneinrichtung. Das Haus des Seins, um bei Heidegger zu bleiben, läßt unglaublich viele Inneneinrichtungen zu, mehr, als wir uns – zurückgelehnt im Sofa unserer eigenen Inneneinrichtung -  je vorstellen können.

"Die Sprache  ist das Haus des Seins. In ihrer Behausung wohnt der Mensch. Die Denkenden und Dichtenden sind die Wächter dieser Behausung. Ihr Wachen ist das Vollbringen der Offenbarkeit des Seins, insofern sie diese durch ihr Sagen zur Sprache bringen und in der Sprache  aufbewahren." (Heidegger)

Natürlich ist Sprache ein Akt des Seins, aber das ist Stoffwechsel auch. Ich halte nicht sehr viel davon Sprache und vor allem Dichtung mit solchen überhöhten Aufgaben zu betreuen. Selbst wenn es hochreflektierte Schreibweisen sind, die, wie Norbert Lange schreibt, „mit unterschiedlichen Mitteln daran gearbeitet haben, Konzepte der Entschlüsselung und Wiedergabe von Welt zu entwickeln und damit in die frames und Bildstreifen, in die chemischen und sprachlichen Zusammensetzungen der Bilder und der Sätze geführt haben“ – also ins innere Geschehen. Dort haben diese Konzepte ganz sicher auch mit „Welt“ zu tun, weil das Leben eben einen Teil der Erfahrbarkeit der Welt über das Sprachvermögen abbildet, ähnlich wie die Stromlinienform eines Fisches die Eigenschaften des Wassers abbildet. Das ist nicht wenig. Aber es ist nicht die Welt.

Die Sprache bildet Welt ab, wie sie durch uns erfahrbar ist. Unser Sprechen ist unsere Stromlinienform im Wasser der Begrifflichkeit. Es gibt viele Dinge außerhalb und innerhalb von uns, die wir weder sagen noch denken können, die an uns vorbeigleiten und die dennoch existieren. Wir haben von ihnen noch keinen Begriff.

Daß es etwas wie Sprache gibt, ist ein Wunder, das wir nicht zu verantworten haben. Aber wir dürfen das Geschenk annehmen und es uns genau anschauen. Damit umgehen. Unter anderem Gedichte schreiben. Letztenendes ist alles nur Spiel. Und dabei gibt es begabte und weniger begabte Leute, melodische Klänge und weniger melodische. Knochentrockene Gehirnkekse und flüssiges Gold. Das ganze Gedönse um zu schreibende oder nicht zu schreibende Lyrik ist vollkommener Blödsinn. Und die ganze Kliquenbildnerei und Abgrenzerei, die betrieben wird, ist einfach nur schädlich. Es geht darum, das individuelle Spiel anzunehmen und die chemischen Zulassungen in sich selbst aufzubrechen oder zu verändern. Sprachchemie zu haben, die zu einem passt. Manche pflegen sie nur und schreiben trotzdem passable Gedichte. Andere zerhauen alles und schreiben nur Schrott.

Mit Norbert Lange hat das alles soweit zu tun, daß er aktuell zu den Poeten gehört, die tief und stark reflektieren und alles auf eine Weise in Frage stellen, die fruchtbar ist. Über weite Passagen seines Buches führt er den Leser, manchmal etwas zu angestrengt und anstrengend, zu den Fragen, die Sinn machen. Die also Sinnfindungen im Leser evozieren. Das ist wunderbar. Das ist man gar nicht mehr gewohnt, es gibt zu viele überschätze, hochbeachtete Wortmelder, die einfach nur Unsinn erzählen und auf lange Sicht der Poesie mehr schaden als nutzen, weil sie ein Schott nach dem anderen dicht machen, um in ihren Kabinen alleine zu sein. Lange löst sich, kappt Seile und schwebt erst mal herum, und dann dockt er an und deklariert nicht gleich das entdeckte Land zu einem lebenslangen Hinterindien. 

„Aus einem Gedicht wird nie ein Maschinengewehr, aber genausowenig ist die Poesie ein geschütztes Reservat, selbst wenn ich denn mit Preisen und Stipendien überhäuft werde. Der Anspruch ist, das Niveau zu halten, und das schließt ein, dass ich meine Position hinterfrage. Welche Gedichte werden prämiert, welche Konventionen bestehen? Jedes Gedicht setzt sich einem Generalverdacht aus, weil Sicherheit nicht nur als Bedürfnis gilt, sie wird zur Gefahr, wenn man sich auf Positionen zurückzieht, die Sicherheit versprechen.“ schreibt Lange.
Nur einer von vielen wahren Sätzen, ob der Komplexität des Verhalts in einem argumentativen Staccato vorgebracht (eine Schwäche des Buches).
Daß sich Akteure eine Position erobern, daß ihre lyrische Lerngeschichte (die man heute als Studium hinter sich bringt) sie an einer Stelle einortet, die dann – preiswürdig oder nicht - erst mal verteidigt wird (zu viele Gedichte heute sind Demarkationslinien), ist ein absolut normales Geschehen. Gut wird Dichtung aber erst, wenn sie sich von Positionen löst und nur noch dem Wort und der Sprache geschuldet ist und dem Spiel. Einem nicht kleinen Teil der Lyrik heute merkt man aber immer noch an, wie erzwungen und restriktiv sie ist. Ganz das Gegenteil von frei. Rückzugsgebiet, Reservat. Durchkalkulierte Stelle, auf der ich trete, der herrschenden Luxzahl des Literaturbetriebes angepaßt.

Das Buch von Norbert Lange ist nicht einfach zu lesen, was durchaus an den reichen Inhaltsflächen liegt, die bewältigt sein wollen. Es hat viele wundervolle Gedanken, großartige Anregungen und interessante Perspektiven, auch solche aus der Bewegung heraus und in die Bewegung hinein.

Norbert Lange
Das Geschriebene mit der Schreibhand
Reinicke & Voß
2010 · 112 Seiten · 9,95 Euro
ISBN:
978-3-981347029

Fixpoetry 2010
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge