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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
Kritik

Die Fenster der Monade

Zu den Gedichten von Odile Kennel
Hamburg

Mit oder wie heißt diese interplanetare Luft legt Odile Kennel ihren ersten eigenständigen Gedichtband vor, dabei ist sie in der Szene schon lange keine Unbekannte mehr. Sie veröffentlichte bislang die Erzählung Wimpernflug (2000) und den Roman Was Ida sagt (2011). Die zweisprachig (deutsch/französisch) aufgewachsene Kennel trat darüber hinaus als Übersetzerin in Erscheinung, und so ist sie mir auch zum ersten Mal begegnet. Denn sie brachte unter anderem die Brasilianerin Angélica Freitas und deren Landsmann Ricardo Domeneck auf eindrucksvolle Weise ins Deutsche. Freitas und Domeneck sind zwei sehr einprägsame Stimmen der jungen brasilianischen Gegenwartsliteratur.

Nun folgen also die eigenen Gedichte von Odile Kennel und man fragt sich, wie immer bei mehrsprachigen Autoren, in welcher Sprache nahmen die Texte ihren Anfang. Allerdings ist das eine eher sportliche Fragestellung des Rezensenten, denn am Ende ist das Ergebnis das Entscheidende und das liegt (zunächst) auf Deutsch vor. Am Ende des Bandes aber befinden sich einige Gedichte, die die Sprache auf ihren Gehalt hin abklopfen, und auch das Titel gebende Gedicht  ist eines jener besonderen Art:

vom Schlagschattenboxen
vom Handkantenschlag
oder von irgendetwas
nach oben Ragendem
tragfähig sei das System

Und im Deutschen, dem ja in dieser Hinsicht zuweilen wenig zugetraut wird,  ist da ein unglaublich ruhiger Sound, vielleicht die Entsprechung eines Gespinstes, ein Sound der sich über die Dinge legt, die der Text selber hervorbringt. Und doch sind es Großstadttexte, angesiedelt im Häusermeer, und in jener Stadt zuweilen, deren giftig dampfende Schlote dereinst die Expressionisten besangen. Aber die Expressionisten sind vergangen und mit ihnen das Hämmern der Industrie.

unterm Strich sind Friedhöfe
auch nur bürokratische Vorgänge
und neben mir im Café
stellen Frauen die Frage:
Strauss oder Butlers?

Kontakt zur Natur nehmen Kennels Texte zumeist am Fenster auf. Blickkontakt. Mit einem Eichelhäher, während das Lyrische Ich in der Küche sitzt und liest.Szymborska liest. Der Häher erspäht Gefahr.

Oder die Welt durch ein Zugfenster gesehen, die Welt die im Vorüberziehen Kontur gewinnt wie Magdeburg:

der Himmel über Magdeburg
ist ein Gummiband
von einem zum anderen Ende
der Welt. Ich fürchte
es wird reißen, ich fürchte
der Himmel fällt
auf die Stadt.

Das Wort „Welthaltigkeit“ das von gewitzten Rezensenten immer wieder als das hervorgehoben wird, was den Texten fehlt, erfährt hier eine ganz eigene Interpretation. Der Text entlässt die Welt quasi in sich hinein, wird seine eigene Hülle.

ich denke Salbei, wenn ich Salbei
sehe, denke grüngraue, samtene Blätter
paarweise gegenständig, Lippenblütler

Eine Besonderheit des Buches ist es, dass sich die Überschriften am Ende der Texte und darunter befinden. Das führte dazu, dass ich die einzelnen Kapitel zunächst jeweils als in sich geschlossene lange Gedichte wahrnahm, das Ganze also wie eine Verserzählung gelesen habe, und der Text ließ das zu. Das spricht für die Komposition des Bandes. Wäre er Rockmusik, würde er als Konzeptalbum gelten. Die besondere Kunst Kennels besteht nun darin, dass sich Narration und Reflexion auf eine Weise die Waage halten.

Odile Kennel
oder wie heißt diese interplanetare Luft
Dtv Premium
2013 · 120 Seiten · 14,90 Euro
ISBN:
978-3-423-24973-7

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