Die Entdeckung eines alten Dialogs
Kozmik Blues und Holunderground – das kenne ich, das war Poesie von der Straße. Als Olaf Velte dort Gedichte publizierte, studierte er noch Germanistik in Frankfurt - Anfang der Neunziger. Damals wollte man den amerikanischen Beatniks nicht mehr nur hinterher schwimmen, sondern entdeckte schließlich den eigenen Herzschlag als social beat, was viel Bewegung in die deutsche Lyrikszene brachte – immer mehr independents entstanden, Zeitschriften, Verlage, slam-poetry begann sich einzuwurzeln. In den beiden selbst herausgegebenen Gedichtbänden „Stacheldraht“ (1989) & „Schlackenfund“ (1993) führte er die Texte dieser Zeit zusammen. 1995 dann erschien Olaf Veltes Gedichtband „Niedriger Ackergang“ im Buchlabor in Dresden (jenem Kleinverlag, wo auch Uwe Tellkamps Erstling als Künstlerbuch herauskam und der mit der wunderbaren „Spinne“ über lange Jahre die reichhaltige Tradition der Dissidenten-Künstlerzeitschriften „aus dem Osten“ fortsetzte). Schon im Titel erkennbar ist eine Art Schürfen und das Agraische und in den folgenden Jahren hat Olaf Velte den trunken gelebten Underground immer mehr zu einem erdverbundenen Dasein verwandelt, ging den umgekehrten Weg eines Tiefenerders. Aus dem Untergrund ans Licht, das am Land zerschellt. Da er als Schafzüchter abgeschieden im Taunus lebt und die Lyrik ihm authentische Lebensauskunft blieb, begannen seine Texte ihm „Ein Kragen aus Erde“, wie sein Gedichtband aus dem Jahr 2000 hieß, zu werden. Es folgten „Landmarken“. All diese Titel lassen unschwer erkennen, daß sich Velte ganz dem ländlichen Leben widmete und fortan einer Lyrik, die das Herbe und Humose und Irdene aufgreift, das sich in unseren Fundamenten findet. Als ihm 2003 der Förderpreis der deutschen Schillerstiftung verliehen wird, nennt ihn Wulf Kirsten in seiner Laudatio einen „Bauern, der sein Land unter Poesie setzt“.
Damit sind erste Schubladen gefunden. Wir brauchen das ja, Konzepte, die uns beim Ordnen beistehen. Der eine ist Arbeiterdichter, der andere Bauernpoet.. Dann ist der Literaturstudent was? Ein Studentendichter?, ein städtischer Sprachkünstler, der die Poesie vom Land befreit und ihr hilft sich nur mehr um sich selbst zu drehen? Der Sprachbastler, der sich schließlich in Wörterbüchern nach Material umsieht, statt der Kassiererin auf die Finger und dem wirklichen Leben ins Auge? Schubladen sind unglückliche Hilfen.
Kundschafter
schön ist noch
immer Fischteich und
Bauernwald die
heilige Zeit
treuer Anraineraus spätem Feuer
der Chronist
hört Tag und Nacht
Getier bei Fußvor jenem Ort wo
Kundschafter tief
im Wasser liegenausgestopft
mit Ackerland
Ich lese in Olaf Veltes Lyrik mehr als ein poetisch beackertes oder überschwemmtes Land. Ich lese von hineingeschwemmten und herausbrechendem Blut, von chthonischen Begierden und erdfarbener Lust, von uralter Zwiesprache, die unter Schweiß und Mühe unser Skelett hervorbricht und manchmal auch zerbricht, vom Zerschellen der luftigen Sachen an den Steinen im Boden. Auf der Suche nach dem, woher wir kommen, treffe ich Velte und weiß ihn fühlend und spürend die archaischen Rhythmen lesen, im Jenseits von Gut und Böse das helle wie das dunkle, das reizende und das blutige Geschehen als Natur sehen und dabei genau wissen: es ist die Welt, sie hat einen Takt, der uns nicht braucht und sie stellt an uns Fragen, die ganz anders sind wie jene, die wir uns selbst stellen. Der wahre Gondoliere ist nicht der vernunftbegabte Mensch, sondern das, was uns und jedes Leben seit je durch die Zeiten gondelt: der Dialog. Hinter ihm steckt die Frage. Wenn wir aufhören, die ursprüngliche Welt, das Wurzelwerk unseres Seins zu befragen, das leider für die meisten von uns nur mehr eine verborgene Unterwelt ist, dann werden wir uns nur noch selbst beantworten und in diesem Selbstbezug absaufen.
Davon lese ich in Olaf Veltes Lyrik und zwar ohne daß er es irgendwo explizit beschreibt. Dann wäre er auch ein schlechter Lyriker – er lässt es uns spüren, er nimmt uns mit auf seine Grabungen und vermittelt uns das Gefühl. Er zeigt uns das Land und wie wir es beantworten, wenn wir ihm 1:1 gegenüber stehen. Das löst eine Beklemmung aus bei jenen, die das nicht kennen, weil es eine Begegnung mit der Not ist, aber bei jenen, die naß in der Luft in der Kälte am Morgen im Boden nach Rüben graben, ein Nicken und das Gefühl, verstanden zu werden.
Schindwasen
beschmiert sind die Hände
vom ewigen Fleisch
dem Hirnein Gestank geht
übers Messer Schnitt
um Schnittund schon reißt das
Vlies aus leuchtender
Hautdie Hunde daneben
hecheln im schweren
Gedärdie Erde übervoll
mit Antlitz und
Seele
Nur die stärksten Gedichte sind so. Vieles ist schlicht auch Atmosphärisches aus der Region und Historisches, Überbetonung von Land und Gelände. Das letzte Kapitel (von dreien) widmet sich ganz Gemarkungen; in Flurnamen wie Braminlohe, Dickheck, Dreckswies, Langenkies als Gedichttitel läuft Velte die vergangene Zeit ab und findet sich im Heute, das dort zeitlos erscheint, Landschaften daraus malen. Dieser Gedichtband lebt aus einer bemerkenswerten Resonanz zu archaischen Prozessen und deren chronischen und akuten Wirklichkeiten. Eine Lyrik reich an dunklen Bezügen zu verborgener Essenz und nicht der handelsübliche Kreisel um sich selbst. Das hat Reiz, nicht weil es wie von fern herklingt, sondern weil es alte Nähen wie mit Orgeltönen dunkel summt.
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