Eine Studie in Niedergang
Kriminalromane gehen zumeist von Experimentalanordnungen aus, in denen durchgespielt werden soll, unter welchen Bedingungen welche Erfolge zu feiern sind (das perfekte Verbrechen, der perfekte Diebstahl, der perfekte Mord) und welche Umstände zu welchen Konsequenzen führen.
Das hängt nicht zuletzt auch an der Ausstattung der Hauptfiguren und deren Umfeld. Der Gentleman-Verbrecher hats da mit ganz anderen Bedingungen zu tun als der Durchschnittsmensch, der mit einem Mal als Krimineller dasteht. Was im elitären Bereich vielleicht zur habituellen Grundausstattung gehört (viel Geld und großes Verbrechen gehören nun mal irgendwie zusammen), ist für den mittleren Helden eine echte Anforderung: nämlich genügend kriminelle Energie zu entwickeln, um überhaupt erstmal zum Verbrecher zu werden und dann noch etwas mehr davon aufzuwenden, um sich wieder da rauszuwinden. Letzteres ist nicht nur deutlich aufwendiger, sondern auch moralisch verruchter und rechtlich enorm schwer abzusichern.
Dabei kommt es eben immer auch darauf an, auf beiden Ebenen sauber zu bleiben: Die Jurisdiktion soll einen nicht an den Haken nehmen, und die gewöhnlichen Verbrecher sollen daran gehindert sein, einem ans Leder zu gehen. Das eine zu müssen und das andere nicht lassen zu können, das ist die hohe Kunst der Vermeidung, die im Krimi ihrer fruchtbarsten Blüten treibt.
Held des Romans Melos ist ein junger Mann, dessen hinreichende berufliche Karriere einen harschen Knick erlebt hat, weil er für den Selbstmord einer jungen Untergebenen verantwortlich gemacht wird – er hat einer jungen Telefonistin in einem Call-Center eine Ohrfeige gegeben, weil diese sich ein Zungenpiercing hat machen lassen, das sie am deutlichen Sprechen hindert. So bescheuert das eine, so dämlich ist das andere. Jedenfalls stürzt sich die junge Frau kurze Zeit später von einem Dach und der junge Mann wird entlassen. Unhaltbar als Vorgesetzter.
Mit dieser Unbeherrschtheit aber ist er nicht nur seinen Job los, der zu größeren Hoffnungen hätte Anlass geben können, mit diesem Moment beginnt sein rasanter Niedergang, der unaufhaltbar scheint und der eigentlich nur vor der Flinte oder Klinge eines der Schergen eines der Drogenbosse im Umland enden kann.
Aber da wir hier nicht bei Fallada sind, der solche Abstürze in seinen Romanen genüsslich durchexerziert hat (man nehme sich nicht zuletzt noch einmal den „Trinker“ zur Lektüre vor, da ist am Anfang schon klar, wohin das Ganze führt), da wir also nicht bei Fallada sind und die Zeiten andere (vielleicht hoffnungslosere), müssen die Figuren gegen den Absturz angehen so gut sie nur können.
Dafür machen sie sich Hoffnungen und geben sich haltlosen Selbsteinschätzungen hin, sie halten mehr oder weniger von sich, als angemessen wäre, und das führt in der Regel dazu, dass sie sich immer mehr verrennen und am Ende ganz unten landen.
Oder eben auch nicht. Denn Patrícia Melos Held leidet unter all diesen sehr menschlichen Fehlern: Er hält sich für jemanden, der genau einschätzen kann, welche Risiken er eingeht und der eben sehr sehr genau plant. Und doch handelt er im Normalfall einfach nur spontan und planlos.
Das fängt genau bei dem Ereignis an, an dem sich sein Problem sehr deutlich abzeichnet: Durch einen Zufall findet er eines Tages ein Flugzeug, das in ein Flussbett gestürzt ist, der Pilot stirbt, während er versucht, seinen Sicherheitsgurt zu lösen, und er findet einen Sack Drogen, den er an sich nimmt, wie den Rucksack des Toten.
Der Tote ist, wie sich kurze Zeit später herausstellt, der Sohn einer lokalen Gutsherrensippe, bei der sich der Mann einfach als Chauffeur anstellen lässt. Die Drogen verklappt er mithilfe eines Freundes, ein Nachfolgegeschäft jedoch geht heftig in die Hosen, da die Polizei bei einer Hausdurchsuchung den Vorrat, den sich die beiden im benachbarten Bolivien besorgt haben, einfach beschlagnahmt.
Womit sich unser Held mit einem Freund im Knast, der ihn verpfeifen kann, und einem wildgewordenen Drogenboss, dem er Geld schuldet, wiederfindet. Keine gute Sache das – aber damit nicht genug.
Weil der junge Mann seine Hormone nicht im Griff hat, geht er ein Verhältnis mit der Freundin seines Cousins ein, und macht ihr ein Kind. Was ihn nicht daran hindert, seine Beziehung zu einer anderen Frau weiterzupflegen, die bei der Polizei, genauer gesagt, im Leichenschauhaus arbeitet. Der Cousin versucht ihn zu erschießen, die Freundin wird ihn wohl verlassen, kommt das raus, usw.
Klare Geschichte und großes Durcheinander also, was nicht geringer wird, als die Polizistin (nennen wir sie so) die Sachen des Toten findet, weil unser planende Held einfach vergessen hat, dessen Handy auf leise zu schalten. Ertappt und zur Rede gestellt. Alles geht den Bach runter. Keine Frage.
Aber merkwürdiger Weise ändert sich der Verlauf seiner biografischen Verirrung danach entscheidend. Der Freund im Knast bringt sich um, der Tote verhilft dem Helden aus seiner finanziellen Klemme und saniert ihn, der Cousin geht zu seiner Ex-Frau zurück, die Geliebte verzieht sich nach Rio (= weit weg) und bringt dort das Kind zur Welt, die Freundin entwickelt einen Plan, wie die beiden zu Geld kommen, die Drogenbosse sind schließlich längst nicht so blutrünstig wie sie sich geben und die Polizei kommt ihm auch nicht auf die Schliche. Die Exkursion ins Reich der Dealer und Drogen endet mit einem Stück Land, einer Kuh, die kalbt, und einer Frau, die schwanger ist. Als ob das alles nichts zu heißen hätte.
Ein schöne Geschichte also, die, könnte man meinen, einfach nur durcherzählt werden muss, damit es funkt mit ihr. Das tuts aber nicht. Denn auch wenn die Konstruktion im Ganzen intelligent angelegt ist und einige elegante Kurven um nicht ganz so einfache Klippen nimmt, ist Melos Krimi doch arg dröge erzählt. Wenn am Ende des Romans der Held, seine Freundin und deren behinderte Schwester ins schöne Tal schaun, sind alle Beteiligten eben doch vor allem froh. Und wir Leser können uns anderen Büchern zuwenden, mit guter Hoffnung.
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