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Kritik

Gedichte der inneren Revolution

Im September 2009 kam die iranische Dichterin Pegah Ahmadi nach Deutschland. Das Projekt Städte der Zuflucht gewährte ihr ein zweijähriges Asyl in Frankfurt, wo sie „ohne Angst leben und arbeiten“ konnte. Eben das war in ihrer Heimatstadt Teheran nicht mehr möglich, seit das Regime im Zuge der Wahlfälschungen und dem Aufbegehren der Grünen Bewegung gnadenlos Jagd auf Oppositionelle macht – darunter viele Künstler, Journalisten, Intellektuelle. Unter dem Eindruck des Sommers 2009 entstand ihr Gedichtband „Mir war nicht kalt (Sardam Nabud)“, der nun im Bremer Sujet Verlag erst auf Farsi und dann auf Deutsch erschienen ist.

Pegah Ahmadi gilt als eine der wichtigsten jungen Dichterinnen Irans. Sie hat bislang fünf Lyrikbände veröffentlicht, eine Anthologie mit Lyrik iranischer Dichterinnen herausgegeben und die Gedichte von Sylvia Plath ins Persische übersetzt; sie lehrte über das Verhältnis von Film und Dichtung und war 2008 für den Media Choice Award als beste iranische Dichterin nominiert. Nach zwei Jahren im deutschen Exil arbeitet sie zur Zeit an der Brown University auf Rhode Island in den USA. Sie ist nur ein Beispiel – dabei ein schwerwiegendes – für den anhaltenden Exodus der Kreativität aus Iran, das von seiner Regierung nach und nach ausgeblutet wird.

Ihre mitunter expressionistisch anmutenden, radikalen Gedichte mit ihrer faszinierenden Metaphernwelt sind so avantgardistisch wie ambitioniert. Trotz ihrer sprachlichen Komplexität (die sich in der deutschen Übersetzung von Jutta Himmelreich stellenweise nur erahnen lässt) scheuen sie sich nicht vor direkten Aussagen, in denen sich all der Schmerz und die Verzweiflung sammeln, die sich auch in den Augen der sterbenden Neda Agha-Soltan spiegelten, als sie im Juni 2009 von Basij-Milizen erschossen wurde. Erschossen, weil sie für ihre Freiheit demonstrierte. Pegah Ahmadi hat ihr ein Gedicht gewidmet, es heißt „In mir klingt deine Stimme nach“.

Jener Sommer ist omnipräsent in Pegah Ahmadis Versen - und das Leid jener, die damals, in Grün gehüllt, das Regime beenden wollten, und die nun entweder im Exil, im Gefängnis oder tot sind: „Zerfetzte Granatäpfel waren wir, / In ruhelosen Grenzen. / Aus unseren Fingern rannen beim Schreiben Tränen.“ Nichts ist versöhnlich in diesen Versen. Sie sind dunkel, beklemmend, sie atmen Agonie. Es geht um den Kugelhagel, den realen wie den symbolischen, der die Träume zerfetzt, das Leben. Es sind gnadenlose Gedichte, die von einer inneren Revolution erzählen, die mit blanker Gewalt zerschlagen wird, so wie der reale Revolutionsversuch zerschlagen wurde.

„Irgendwo husche ich dir unter die Haut wie eine Gämse, / Und mir geht durch den Kopf, dass das hier nicht unsere Bestimmung ist. / Denken wir vielmehr an die Reparatur der Uhr, / Die aus lauter Rücksicht auf uns die / Morgenstunde / Nicht schlägt“, heißt es in „Ouvertüre zum Abschied“.

Pegah Ahmadi
Mir war nicht kalt
Übersetzung:
Jutta Himmelreich
Sujet
2011 · 81 Seiten · 10,00 Euro
ISBN:
978-3-933995766

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