Das Leben als Requisite
„Kopf und Herz gehören unbedingt zusammen“, sagt Peggy Neidel selbst, und das in einer Zeit, in der es mitunter verpönt ist, Gedichten Raum für Emotionales einzuräumen. Allein das macht ihr soeben im Poetenladen erschienenes Debüt „weiß“ interessant. Ihre Gedichte scheinen einerseits typisch für die junge deutsche Lyrikergeneration: Der Ton, der Stil, die Stimmungen – irgendwie kennt man das alles, es klingt vertraut, es gibt da diese ganz bestimmte Unbestimmtheit, die unserer Generation eigen zu sein scheint.
Aber dann doch wieder nicht. Denn die Oberflächlichkeit, die sich bei flüchtigem Lesen einstellt, als genereller Modus des Betrachtens vielleicht, bricht rasch auf, wird ins Innere gespiegelt und erlaubt den Blick ins Empfinden, das sich gegen die Kälte wehrt, mit der es allenthalben konfrontiert wird.
„in deinen adern fließen / meine scherben“ ist eins dieser unfassbar starken Bilder, die einen tief erschüttern können, weil sie so treffend sind, so unmittelbar schmerzhaft, direkt, echt. Und dann wieder kommt das Leben, die Welt, das Sein als Requisite daher, fragil, künstlich. Nichts ist hier echt, alles wartet nur darauf, in sich zusammenzubrechen, und die Erwartungshaltung auf das Danach ist keine optimistische. Aber wie kann dann das Gefühl echt sein angesichts all des Unechten? Die Frage muss zwangsläufig ungeklärt bleiben. Das lyrische Ich bewegt sich vorsichtig tastend voran, mit unsicheren Schritten, es trägt die Verunsicherung in sich und versucht fortwährend, sich das Vorfindliche zu erschließen ohne dabei von dem schmalen Grat zu kippen, auf dem es balanciert.
und dann erneut: wir zwingen uns
erreichen wir dieses bewusstsein, lass doch
das stand in unserem vertrag
sortiere dich, dieses ding
wir kommen langsam voran im neonlicht
sehen wir fotomontagen unseres letzten standorts
los jetzt, sie fahren sonst ohne uns ab
Es sind oft bedrückende Gedichte, ein lyrisches Labyrinth ohne Notausgang, dem sich der Leser aussetzt, aber in Wirklichkeit setzt er sich nur mit sich selbst auseinander, wird auf seine Ängste gestoßen, wird gezwungen, infrage zu stellen, ob die Art, sich mit der Welt zu arrangieren nicht doch eine widernatürliche ist. Manchem mag die Skepsis, die in den Gedichten immer wieder aufflackert bisweilen als ein Kulturpessimismus erscheinen, doch das wäre zu kurz gegriffen. Es geht vielmehr um ein Unwohlsein, das sich im Trivialen breit macht, das über, unter und hinter allem schwelt, und das deshalb so beängstigend ist, weil es so unbestimmt ist.
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