Everything In Its Right Place
Formschön, anschauungsgesättigt und geschmackvoll: Peter Neumanns Gedichte gleichen fein gemeißeltem Marmor. Um den Band geheuer, der jetzt erschienen ist, wirklich interessant zu machen, fehlt zwar einerseits der Bruch, wie die Gesamtschau zeigt. Zu schnell zur Seite legen sollte man das Buch aber auch nicht. Eine Spurensuche.
Manieristische Spielereien hat er gar nicht nötig, um sein sprachliches Talent zu beweisen. Das besitzt Peter Neumann zweifelsohne. Die Gedichte, die er nach dem Debüt Schonung, das 2009 als Jahresgabe der Literarischen Gesellschaft Thüringen erschien, nun unter dem Titel geheuer in der Dresdner Edition Azur vorlegt, sind nüchtern, durchdacht und haben oft etwas leicht altmodisch Versunkenes an sich; sie kommen daher als fein geschliffene Kleinode, bei denen kein Wort zuviel ist. Geduldige Anschauung, behutsam hervorgehobene Details, die versuchen, mehr zu sein als sie scheinen, konkret durchgespielt an polnischen Stillleben, italienischen Urlaubsbilder und natürlich, immer wieder, der melancholischen Meeresbetrachtung (die sanften Wellen auf dem Umschlag erinnern nicht von ungefähr an Ron Winklers herrliche Ostsee-Anthologie aus der Connewitzer Verlagsbuchhandlung), so stellt sich diese Gedichtsammlung dem Leser dar.
Aber wie jede Sache zwei Seiten hat, so geraten auch Peter Neumanns Gedichte an manchen Stellen in einen gewissen Leerlauf, eine Abnutzung, was eine Gefahr für diese sehr visuell arbeitende Poesie ist: Wie Ansichtskarten oder Aufnahmen mit der Sofortbildkamera fangen die Gedichte in geheuer emsig Bild um Bild ein und bewahren es, mit wenigen Strichen notiert, zwischen dem stilvoll-weißblau-maritimen Buchumschlag auf. Dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden, die archivarische Funktion der Lyrik hat gewiss ihre Berechtigung, und das ist nun einmal die Poetik von Peter Neumann, möchte man entgegen. Andererseits: Macht es sich hier nicht jemand auch etwas leicht? Brüche, Überraschungen, Unerwartetes sucht man in dieser setzkastenartigen Aneinanderreihungs-Praxis nämlich vergebens.
Erstarrte, statische Momentaufnahmen, in denen sich nichts mehr bewegt – oder in in sich selbst ruhende, perfekt austarierte Gebilde? Schaut man auch nur kurz auf Peter Neumanns Biografie (Studium der Philosophie, wissenschaftlicher Mitarbeiter in Jena, lebt in Weimar), man kann gar nicht anders, als an das Wort Klassizismus, an Schiller zu denken, der in den Briefen zur ästhetischen Erziehung des Menschen Form- und Stofftrieb mittels dem Spieltrieb zu einen suchte, oder an Kants interesseloses Wohlgefallen: Die Klassik, der Idealismus, das scheinen deutliche Antriebsmomente für Peter Neumanns Lyrik zu sein.
Aber wo finden sich Anknüpfungspunkte für einen heutigen, nun ja, modernen Leser? Vielleicht über die Popmusik: Denn man braucht eigentlich gar nicht zurück zum Idealismus zu reisen, um diesen Gedichtband zu verstehen. Man kann auch ganz anders den Hebel ansetzen – und ein Radiohead-Album auflegen. Wie in dem Song „Everything In Its Right Place“ (erschienen auf Kid A und bekannt für die Zeile „Yesterday I woke up sucking on lemon“) legt sich dem Leser spätestens nach dem ersten Viertel der Lektüre von geheuer ein sanftes synthetisches Summen um die Ohren. Doch auch hier fragt sich Sänger Thom Yorke in der Mitte des Songs: „What was that you tried to say?“ – und in diesen so fein formulierten und schön gemeißelten Gedichten, die Peter Neumann in geheuer so scheinbar unschuldig präsentiert, machen sich unter der Oberfläche auf einmal auf eine ganz ähnliche Art und Weise Fragen breit, die man erst nach dem zweiten oder dritten Durchgang ansatzweise fassen kann: Warum sind die Zitronen, gleich im Eröffnungsgedicht „Norden“, vertrocknet? Und ist er nicht doch sehr gut beobachtet, auf eine vertrackte Weise, der Nagel, an dem das Bild mit den Schiffen hing, das wiederum in einem Seeunglück unterging („fregatte und gewitter“)? Und versteckt sich nicht unter der den Band durchströmenden Zartheit auch eine – wortwörtlich – knisternde Erotik, die zwar nie explizit praktiziert, aber durch geschickte Bilder („streust du mir brausepulver [ahoj] auf die zunge“) angedeutet wird?
So kommt man Peter Neumann langsam auf die Schliche: Von Brüchen, von Konterkarierung zu sprechen wäre vielleicht noch etwas vorschnell geurteilt – immerhin schafft es dieser Band aber, einige blinde Passagiere zwischen den etwas zu gefälligen Urlaubsansichten zu transportieren. Und so den fein gemeißelten Marmor nicht zum Zersplittern, aber zumindest ein ganz klein wenig ins Wanken zu bringen.
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