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Kritik

Keine Zeit: sagen die Toten

Lyrische Verdichtungen von Peter Segler
Hamburg

Broterwerb, alles schön und gut, aber nun ist erst mal Sommer. Durch unseren schulpflichtigen Sohn an die Ferienzeit gebunden, machen wir uns auf den Weg –acht Tage ans norddeutsche Watt, die Wettervorhersage lässt hoffen. Wie vor jedem Urlaub die nicht ganz unwichtige Überlegung, welche Bücher ich mitnehmen soll. Aus purer Unentschlossenheit greife ich mit geschlossenen Augen in die Stapel und ziehe vier der Bücher hervor, die dort ihrer Lektüre harren. Aha, sieh an: ein Dick Francis-Krimi, Eric-Emmanuel Schmitts "Die Schule der Egoisten", Alan Bennetts "Die souveräne Leserin" und, zu guter letzt, "taxi taxi" von Peter Segler.

Von den gut 50 im Pferderennsport-Milieu angesiedelten Krimis von Dick Francis habe ich bereits die meisten gelesen, von Eric-Emmanuel Schmitt kenne ich das wunderbare "Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran", und Alan Bennett ist mir durch Beyond the Fringe ein Begriff. Was mir zunächst nichts sagt, ist das gänzlich in Schwarz gefasste "taxi taxi". Also schlage ich das Buch auf, blättere durch und stelle fest, dass es – der Untertitel "Verdichtungen" deutete bereits darauf hin – insgesamt 72 kurze, zum Teil aus nur wenigen Zeilen bestehende Texte enthält. Ich überlege, ob ich dieses Buch wirklich mit in den Urlaub nehmen soll. Lohnt sich das? In der Zeit, die ich benötige, um es ins Auto zu legen, könnte ich es auch fast schon durchlesen ... aber gut, mein Prinzip der zufällig gewählten Urlaubslektüre hat sich über die Jahre bewährt. Um dem Buch mehr Zeit und Aufmerksamkeit einzuräumen beschließe ich, an jedem Tag der Reise genau 9 der Gedichte (?!) zu lesen: drei morgens, drei mittags, drei abends.

Die Länge einer durchschnittlichen Rezension gäbe es her, dass ich an dieser Stelle alle Texte hintereinander zitieren könnte, aber erstens gäbe das nicht viel her, und zweitens geht es auch einfacher und deutlicher, denn was schnell offensichtlich wird: Das Buch teilt sich in zwei Bereiche. Auf der einen Seite sind da die Texte, die sich unter dem Begriff der Wortspielerei zusammenfassen lassen. Ich habe nicht grundsätzlich etwas gegen Wortspielereien, ich finde sie nur zumeist nicht sonderlich spannend. Als Küsten-Urlauber wird man mit so vielen abgelatschten Wortspielen gepeinigt (vier von fünf Bistros bieten "Baguette und Meer" – gähn), und auch einige von Seglers kurzen Texten (ich weiß immer noch nicht, ob ich diese "Verdichtungen", wie er sie nennt, nun Gedichte nennen soll oder eher nicht) sind eher schlicht und bieten wenig bis keinen Nähr- oder Mehrwert. Aus Underdog wird da schnell "under doc" und schlussendlich eine krankenhausinterne Befehlskette, an deren Ende, wie man es erwartet, der Patient steht. An anderer Stelle schreibt der Autor (geb. 1964 im sächsischen Freiberg, wo er auch über längere Zeit als Herausgeber der Literatur-Zeitschrift Freiberger Lesehefte tätig war) von Zeitfenstern, die, wenn sie nicht dem Standardformat entsprechen, aus dem Rahmen fallen. Fenster – aus dem Rahmen fallen – nun ja...

 

            vogel-grippe

 

            als das thema

ausgeschlachtet

war

krähte kein hahn mehr

danach

 

: erinnert mich stark an das Metzger-Gedicht eines Freundes: Mir doch Wurst / was aus dem Schwein wird! Manches ist simpel, zu simpel gedacht, zumindest zu simpel fixiert, zu simpel niedergeschrieben und ausformuliert. Da fehlt es dann an Seele, da wurde der schnellen Idee auf Kosten weiterer Gedanken Vorzug gegeben.

Zusätzliche Verwirrung erfährt mein zartes Gemüt durch einen offensichtlichen Schreibfehler (in Norddeutschland firmiert der Brauch, seiner Angebeteten das Gesicht mit Sperma zu besudeln unter der Bezeichnung Bukake; hier: Bukale).

Um aber in meinem Bild der sommerlichen Reise und zudem nah und dennoch frei bei Schiller zu bleiben: Wo dunkle Schatten sinnlos walten, da scheint zumeist auch Licht. In diesem Fall eben jenes Licht, jenes Strahlen, das von der zweiten Hälfte der Texte ausgeht, welche gänzlich auf Kalauer verzichten und inhaltlich arbeiten und wirken, die treffen und reizen, die vieles andeuten und anreißen und dabei nicht zu laut sind. Ich scheue mich ein wenig vor der Begrifflichkeit des Aphorismus, denn nur zu schnell wandern diese in die große Schublade mit den Kalendersprüchen und Bauernregeln. Es scheint einfach so, als meine Segler diese Texte, nun ja: ernst, und den Texten tut dies merklich gut.

 

            strandgut

 

            getarnt als

muschelsucher unter

muschelsuchern

 

Das hat er gut beobachtet – eine von vielen guten Beobachtungen. Es scheint mir beinahe, als beschreibe er mich, wie ich mit gesenktem Kopf an der auslaufenden Brandung entlanggehe, so als suchte ich Muscheln oder Bernstein...

Eine gute Woche haben mich die Kurztexte von Peter Segler durch den Tag begleitet. Vieles habe ich augenblicklich wieder vergessen und frohen Herzens aus meinem Kopf verschwinden lassen, so Einiges aber ist hängen geblieben und hallt spürbar nach. Und ich gehe stark davon aus, dass das beabsichtigt war.

Peter Segler
taxi taxi
Mit 10 Fotografien von Peter Segler
edition grey
2013 · 100 Seiten · 14,80 Euro
ISBN:
ISBN 978-3-940294-30-0

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