mit dem Ding so ding
Nora Gomringer hat eine begnadete Stimme. Und so ist es ein Geschenk, dass wir ihr neuestes Werk nicht nur selbst lesen, sondern ihr auf der diesem Band beigelegten CD beim Lesen ihrer Gedichte zuhören können – die Entscheidung, was zuerst, ist nicht schwer zu treffen. Wer die Gomringer und ihre Performances schon einmal live erlebt hat, weiß: Sie lässt Wort für Wort vom Blatt auffliegen, ihr sanftwarmer satter Alt schmiegt sich ins Ohr und vermutlich würde sie auch das Lesen des Telefon- oder eines Kochbuchs zu einem so gelingenden wie erfreuenden sinnlichen Event machen: Rezitationskunst vom Feinsten also.
Und die Gedichte?
„Morbus“ ist der zweite Teil einer geplanten Trilogie der Oberflächlichkeiten, deren Titel alle mit „Mo“ beginnen: Monster (erschienen 2013) – Morbus – Moden (Buchveröffentlichung für 2017 geplant). Illustriert wurde dieser Band wieder von Reimar Limmer. Es sind Kollagen im Stil der 50-er, 60-er, die ein wenig aus der Zeit gefallen scheinen.
Das lateinische Wort „Morbus“ des Titels heißt nichts anderes als „Krankheit“ und definiert unter Hinzufügung weiterer Bezeichnungen, meist sind es die Namen jener Ärzte, die diese Erkrankungen erforschten, einzelne Krankheitsbilder. Im täglichen Sprachgebrauch verliert sich das Wort „Morbus“, wenn wir von „Alzheimer“ reden oder dem „Basedow“ einer Verwandten.
25 Krankheiten hat Nora Gomringer für ihr Buch ausgewählt und lässt diese „selbst“ sprechen, wie es im Klappentext heißt. Und alle bis auf „Hab vergessen“, in dem sie jenen Alzheimer thematisiert, wurden eigens für „Morbus“ geschrieben.
Hab vergessen
Zu benennen wie die Straßen
Die Dinger auf denen die Tassen
Im Regal dort hinten in der Auffahrt
Steh ich nackt
Die Haare offen trag ich deinen Ring
Kommt ein Mann täglich
Wie ein wie heißen die
Will mich Kindlein wiegen
Streichelt über meine Wange denk ich
Mörder du Dieb Sie lassen Sie das
Bitte weitermachen unablässig
Riech ich nach Arnika alte Frau
Rufen sie mir zu ich frage sie
wen meint ihr damit
Steh ich nackt in der Auffahrt
Hab vergessen
Überzeugend auch das Gedicht „Herpeswaltz“, der leichthin im ¾- Takt tänzelnd Verliebte entzweit oder „Ling“, das den Morbus Basedow gewitzt mit Worten spielen lässt. Dieser kleine Junge/ist ein Ständigfort,/Halbwegshier,/Übersteuertanalog, ... lesen wir in einem Autismusgedicht und können uns das Wesen dieses Kindes lebhaft vorstellen.
Doch schon in „Hab vergessen“ tauchen Irritationen auf: Es ist hier (wie anderswo in diesem Buch) gerade nicht die Krankheit, die „selbst“ spricht, sondern eine alte Frau, verloren in ihrem Nichtmehrwissen. Warum beginnt hier die drittletzte Zeile als einzige mit einem Kleinbuchstaben – Absicht (wenn ja: welche?) oder Nachlässigkeit?
25 eher kurze, bis maximal knapp eine Seite lange Gedichte sind nicht viel für einen Band. Wenn eines davon nicht ganz so gelungen ist, dann mag man dieses mit gutem Willen überlesen. Es gibt ja noch 24 andere, die Herz und Hirn erfreuen. Doch leider ist hier mehr als eines nicht überzeugend, sondern wirkt allzu beliebig und nicht auf jenen Punkt gebracht, der eine Aneinanderreihung von Worten erst zu Poesie macht. Reizlose Aufzählungen lese ich hier, immer wieder Prosasätze, die nicht schon dadurch Lyrik werden, dass man sie auf ein paar Zeilen verteilt, sowie zu viel Oberfläche ohne die nötige Tiefe als Gegenpol. Dies mag bei Monstern funktionieren, wird möglicherweise auch bei Moden wirken und LeserInnen sogar das eine andere Lächeln entlocken. Bei Krankheiten allerdings überzeugt es nicht. Vieles wird hier in Gomringers Morbus-Topf geworfen, was irgendwie zueinander passen soll und sich doch nicht mischen will. So wird Ebola auf der Showtreppe mit Pest und Pocken kurz geschlossen – doch was uns die Dichterin sagen will, bleibt fragwürdig. Das Wort „Ding“ in Variationen mag in einem Traumagedicht (Traum mit A) als Stilmittel eingesetzt wirken, die Wiederholung, etwa in einem Gedicht über Schizophrenie, zeigt die Beliebigkeit ihrer Verwendung dieses Worts. Im Gedicht „Die Herz-Lungen-Maschine antwortet“ (alle Titel sind im Original in Großbuchstaben gesetzt) lesen wir gleich zu Beginn:
Seitdem ich denken kann
ist Liebe mein Motor. ...
Maschine als Liebesmotor? Liebe als Motor einer Maschine? Als Leserin bin ich sofort bereit, mich auf dieses Sujet einzulassen und werde enttäuscht. Oberflächenplappern ohne Stringenz und ohne Originalität. Was hätte man daraus machen können!
Darüber hinaus erwarte ich von einer Autorin, die das Fachvokabular souverän anwenden möchte, dass sie auch „das Virus“, wie in der Medizin üblich, schreibt und nicht den männlichen Artikel wählt, und dass sie sich mit manchen der von ihr gewählten Krankheiten etwas eingehender befasst, ehe sie darüber ein Gedicht schreibt.
Nicht zuletzt: War es wirklich nötig, Anne und Margot Frank und Bergen-Belsen für ein unoriginelles Gedicht über Typhus zu ge-, nein, missbrauchen? Das nachfolgende Typhusgedicht kommt auch ohne diese „Benutzung“ aus und bewirkt vielleicht gerade dadurch ein Innehalten.
Fazit: Gern hätte ich jenen „nicht ganz düsteren, nicht ganz ernsten Band“ über Krankheit gelesen, wie ihn der Klappentext ankündet. Düster ist hier wirklich nichts zu lesen. Doch für „nicht ganz ernst“ fehlt zu vielen Gedichten im Buch gerade jener Ernst, der in die Tiefe führt, die Leichtigkeit erst möglich macht.
Fixpoetry 2015
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben