Die Moralität der Kunst
„... Gründgens war stets bereit, im Falschen das Richtige zu suchen.“ Mit diesem Satz bringt Renate Berger auf den Punkt, was eine Betrachtung des Verhältnisses von Gustaf Gründgens und Klaus Mann an Spannungen beinhaltet: Zum einen spielt sie auf Adornos Diktum an, es gäbe kein richtiges Leben im falschen, zum anderen stellt sie es in Frage; und öffnet damit die Perspektive auf das Verhältnis nicht nur von Gründgens und Mann, sondern auch auf das Verständnis von Handeln unter der Herrschaft des Nationalsozialismus, ein Verständnis, um das gerade zwischen jenen gerungen wurde, die damals ins Exil gingen – wie Klaus Mann – oder in Deutschland blieben, wie Gustaf Gründgens.
Für Mann war sein ehemaliger Mitstreiter auf der Bühne und Schwager in den dreißiger Jahren zum Inbegriff des über jede Moral hinweg geltungssüchtigen Theatermenschen geworden, als Gründgens die Leitung des Preußischen Staatstheaters in Berlin übernahm, unter der Aufsicht von Hermann Göring. Anders als es sein Onkel Heinrich Mann in dem Roman Der Untertan noch getan hatte, zeichnete Klaus Mann in seinem Roman Mephisto von 1936 den Typus des Opportunisten nun sehr genau nach einem einzigen, konkreten Vorbild: Gründgens. Dieser strengte später in der Bundesrepublik erfolgreich das Verbot des Buches an, in der DDR erschien es trotzdem. Erschließt Mephisto einen Typus oder verengt sich das Buch auf Rufmord? Im Zeichen von Diktatur, Krieg und Verfolgung ging Klaus Mann das künstlerische Risiko ein, nicht im Symbolischen zu verbleiben (wie sein Vater Thomas es im Doktor Faustus dann tat), um Literatur gleichsam politisch zu schärfen. Er tat dies an einem Beispiel, das er am besten zu kennen glaubte. Doch wie gut kannte er Gründgens und konnte er, einmal im Exil, ohne persönlichen Kontakt, dessen Beweggründe kennen? Und warum wehrte sich der schon vor der Naziherrschaft populäre Schauspieler und Regisseur dermaßen gegen das Buch?
In dem Doppelportrait, das die Berliner Kunst- und Kulturwissenschaftlerin zeigt, geht es ebenso um den Anspruch historischer und biographischer Komplexität wie auch um die Frage der Moral des jeweiligen Handelns. Und vor diesem Anspruch lässt sich rhetorisch zwar mit den Begriffen von richtig und falsch operieren, doch kaum ausreichend die Gemengelage beschreiben, in der Lebensentscheidungen getroffen wurden. Der grundlegende moralische Vorwurf, den Mann gegen Gründgens erhoben hat, ist, dass jener versuchte, unter den Spielregeln nationalsozialistischer Herrscher weiterhin auf der Bühne sein künstlerisch ambitioniertes Spiel zu spielen. Kritische Kunst für die Mörder dieser Kunst, das war undenkbar. Und würde man so nicht selbst zum Mörder seiner eigenen Kunst, in entsprechenden Zugeständnissen? War Gründgens nicht nur politisch, sondern auch künstlerisch diskreditiert?
Renate Berger zeigt überaus vielschichtig und nuanciert den Balanceakt, den Gründgens hier versuchte, künstlerisch, politisch wie auch im Privatleben. Gründgens war Görings protégé, für dessen eigene Ziele im Kulturleben der Hauptstadt wie auch im Machtkampf mit Goebbels und Hitler. Er hatte bereits vor der Machtergreifung der Nazis mit Bravour den Mephisto gespielt und gehörte mit anderen Prominenten wie Albert Einstein und dem Sexualforscher Magnus Hirschfeld der Roten Hilfe Deutschlands an, die 1933 verboten wurde; er war selbst homosexuell und SPD-Wähler; und er hatte eine Wahl, die so auch explizit gestellt wurde: Deutschland verlassen oder das Angebot Görings annehmen, Leiter der staatlichen Bühnen in Berlin zu werden, mit 33 Jahren. Was bedeutete dieser ‚Pakt‘?
Gründgens, der vorher noch in Paris weilte und im Exil hätte bleiben können, sah als deutscher Schauspieler ohne besondere Fremdsprachenkenntnisse im Ausland für sich keine Zukunft. Berger schreibt: „Obwohl Gründgens sich bedroht fühlt, kommt im April 1933 ein Exil für ihn nicht in Frage; weil er Menschen, die auf ihn angewiesen sind, nicht im Stich lassen will, kehrt er nach Berlin zurück. In seiner Grunewalder Villa lebt außer seinen Eltern der Maler Jan Kurzke, wegen dessen KPD-Mitgliedschaft es zu mehreren Hausdurchsuchungen kommt. Gründgens wird ihm die Flucht nach Spanien finanzieren. Auch Carl Forcht, sein Freund und Regieassistent bei Menschen im Hotel, und die Kollegin Ida Liebmann wohnen unter seinem Dach.“ Die persönliche Situation von Gründgens ist hier keine wesentlich andere als wie sie der iranische Regisseur Asghar Farhadi 2011 in seinem Spielfilm Nader und Simin – Eine Trennung gezeigt hat: In dem Film geht es um die lang ersehnte Ausreisebewilligung für ein iranisches Paar. Der alte Vater des Mannes ist jedoch pflegebedürftig und die Pflege vor Ort nicht gesichert, sein Sohn kümmert sich um ihn. Soll er ihn verlassen, um mit Frau und Kind ins Ausland zu gehen? Er entscheidet sich dagegen (woran die Ehe zerbricht und die Frau allein reist, die Tochter will bei ihrem Vater bleiben). Nur ist die politische Situation bei Gründgens insofern eine gänzlich andere, als die Bedingung zu bleiben in seinem Fall damit verbunden war, zugleich kulturelles Aushängeschild der Gewaltverbrecher zu werden – schließlich war Göring u.a. an der Einrichtung erster Konzentrationslager beteiligt gewesen. Gründgens versuchte die Maske der Maske: Nach außen suchte er künstlerisches Niveau mit Unterhaltung zu verbinden, um nach innen wiederum jene zu protegieren, die ihm nahe standen, und damit sind auch seine Mitarbeiter an den Bühnen gemeint. Es gelang ihm, weder künstlerisch Bankrott zu erleiden – Mephisto und auch Hamlet blieben ein Leben lang seine großen Darbietungen –, noch das Ruder in seinem Betrieb aus der Hand zu verlieren.
Dieses Vabanquespiel hatte durchaus seinen Preis: Seine Grunewalder Villa war ursprünglich in jüdischem Besitz gewesen, und als Intendant beerbte Gründgens einen bereits von den Nazis gewaltsam eingenommenen Posten, als die nun kulturell repräsentative Figur dafür. Der Vorwurf, den Klaus Mann moralisch erhob, und der ihn zu dem Kurzschluss künstlerischer und biographischer Darstellung in seinem Mephisto führte, reicht jedoch darüber hinaus, wie Nietzsche es gegenüber Richard Wagner bereits eingefordert hatte, nämlich Kunst und Leben nicht länger zu trennen – was allerdings schreibend nur mehr dahin führt, wo Klaus Mann denn auch literarisch am überzeugendsten zu sich selbst gefunden hat: im autobiographischen Schreiben, in seinem späteren ‚Lebensbericht‘ Der Wendepunkt. Gründgens künstlerischer Fokus war demgegenüber ein ganz anderer: Er spielte den Mephisto in der Weimarer Zeit, der Nazizeit und in der Bundesrepublik – als eine überzeitliche, symbolische Gestalt, als ob nur die Bühne gleich bleibt, während die Welt sich dreht. Mann sah die Welt nicht (mehr) von der Bühne aus. Ihn schleuderte es hinaus in die Welt, über die Niederlande, Frankreich bis in die USA und als US-amerikanischen Soldaten wieder zurück nach Europa. Gründgens auf seinen Tanz auf dem Vulkan, wie Renate Berger ihr Buch in Anlehnung nicht nur an die gleichnamigen deutschen Spielfilme von 1920 und 1938, sondern auch an Klaus Manns Exilroman Der Vulkan genannt hat, ihn also auf seine Rolle als Vorzeigekünstler des NS-Regimes zu beschränken, greift sicherlich zu kurz, und das macht Berger sehr deutlich. Zugleich ist es die Außenperspektive des Exilanten, mit der sich die moralische wie künstlerische Frage in dieser Schärfe nur stellt. Beide Perspektiven brechen sich, doch finden nicht zueinander. Insofern bleibt die Autorin bei dem Wechselspiel der Seiten, im Wechsel der einzelnen Kapitel. Die Struktur ihres Doppelportraits von Gustaf Gründgens und Klaus Mann ist diesem Dissens geschuldet, und das macht es nicht nur inhaltlich erhellend und formal zu einem ganz vom Thema durchdrungenen Buch, vielmehr auch zu einer überaus spannenden Lektüre voller Reibung und Brisanz.
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