Die Eisenbahnlinie am Kwai
Der Originaltitel dieses Romans ist noch geheimnisvoller als der eingedeutschte: "The Narrow Road to the Deep North". Es geht nämlich nicht nur um einen Pfad durch den Dschungel eines tasmanischen Liebeserlebnisses, geschildert mit großem Freimut und der Geduld, die das Weltgefühl Liebe benötigt, wenn es authentisch mitgeteilt werden soll. Dieser "Pfad" - der Schutzumschlag versucht hier mit einem Bild zu ergänzen - ist im angelsächsischen Sprachgebrauch eben eine "Bahn", eine kriegswichtige Eisenbahn, für die eine enge Schneise durch den für undurchdringlich erachteten Dschungel von Thailand nach Burma geschlagen werden muss – muss, in kürzester Zeit, von australischen und englischen Kriegsgefangenen, angetrieben von ihren japanischen Aufsehern und Bewachern, die ihrerseits Opfer und Getriebene einer gnadenlosen Kriegsmaschine sind. Richard Flanagan greift damit ein Kriegsthema auf, mit dem er spannungsfördernd die Liebesgeschichte an Anfang und Ende des Buches räumlich und zeitlich auseinandersperrt, die Geschichte zwischen dem jungen Chirurgen Dorrigo Evans und seiner Geliebten Amy. Der Krieg in Asien ist aber nicht nur Vehikel, er überformt die Liebesgeschichte in eine Lebensgeschichte von Opfern – der Liebenden und der zahllosen Kriegsteilnehmer.
„Pfad“ und „Hinterland“ sind uns bereits aus einem anderen Roman bekannt, in dessen Zentrum weniger Tasmanier und Australier als Briten stehen. Gemeint ist natürlich Pierre Boulles "Le Pont de la Rivière Kwai" (1952). Dieser Roman, erfolgreich verfilmt mit Alec Guinness, Jack Hawkins u.a. als "The Bridge on the River Kwai" (1957), begnügt sich mit den Ereignissen um einen einzigen Punkt auf der "road". Richard Flanagan nimmt uns auf eine 415 km lange Reise mit, die tausende von Kriegsgefangenen das Leben kostete. Er massiert, wo Pierre Boulle konzentrierte.
In Flanagans Buch ist der junge Chirurg Dorrigo Evans der Held, der mit unzulänglichen oder nicht vorhandenen medizinischen Hilfsmitteln sowie menschlicher Unbeugsamkeit gegen Ruhr, Malaria, Cholera oder die todbringende Schwäche und Hoffnungslosigkeit der ausgemergelten Männer ankämpft, die ein Werk vollbringen müssen, oft mit bloßen Händen, das auf fünf Jahre angesetzt worden war, aber nun in sechzehn Monaten beendet werden muss.
Das ist ein weiteres übergreifendes Thema: Alles muss in kürzester Zeit vor sich gehen, die Liebesgeschichte am Anfang, das hoffnungslose Wiedersehen – der Rest ist die täglich sich dehnende Agonie, die mit großer Empathie geschildert wird.
"Der schmale Pfad durchs Hinterland" gewann den Man Booker Preis (2014) und ist ein australischer Roman. Er widmet sich mit dem Drama um die Thailand-Burma-Eisenbahn - Ereignissen, die hierzulande weniger bekannt sind, aber für Australier von eminenter, ja teilweise identitätsstiftender historischer Bedeutung sind. Darin gleicht der mit den Leichen der Kriegsgefangenen gepflasterte Weg der Eisenbahn im Zweiten Weltkrieg den früheren Ereignissen im zweiten Jahr des Ersten Weltkriegs, als Abertausende junger Australier von der britischen Kriegsführung an der Küste der türkischen Halbinsel Gallipoli in einem für sie aussichtslosen Kampf geopfert wurden. Hier sind es Japaner, für die die Australier Menschenmaterial sind, das weniger Bedeutung hat als die Schwellen der Eisenbahn.
Der deutsche Verlag gibt dem Buch erfreulicherweise ein kleines "Dossier" als Dokumentation der Hintergründe bei. Der Leser findet dort ein Interview mit Flanagan und Material über den Autor und sein Werk. Es gibt auch ein bisschen Werbung zu lesen. Wenn es hilft, Richard Flanagan hier besser bekannt zu machen und die Aufmerksamkeit weiter auf die australische Literatur zu richten, ist das eine verdienstvolle Tat. Insgesamt ein interessantes verlegerisches Unternehmen, das Lust auf andere Werke Flanagans und seiner Landsleute macht.
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