Eine unverzichtbare Stimme aus Russland
Der russische Schriftsteller Boris Pasternak (1890-1860) wird in erster Linie mit seinem weltberühmten Roman „Doktor Schiwago“ in Verbindung gebracht. Da dieses Buch in seiner Heimat nicht erscheinen durfte, wurde es 1957 im Ausland veröffentlicht. Ein Jahr später erhielt Pasternak den Literaturnobelpreis. Aufgrund massiven politischen Drucks erklärte damals Pasternak seinen Verzicht auf diese Auszeichnung, die er ausdrücklich für sein gesamtes literarisches Werk erhalten hatte.
Im vorliegenden „Poesiealbum“ wird ein repräsentativer Querschnitt des poetischen Schaffens von Boris Pasternak vorgestellt. Während die Dichtungen seiner frühen Jahre voller Ungestüm und von der drängenden Energie lebhafter Bildverarbeitung geprägt waren, glätten sich die Verse im Laufe der Jahrzehnte. Im Spätwerk erreichen sie eine beeindruckende Meisterschaft ausgeglichener Lebensweisheit, die dennoch ihr zugrundeliegendes Temperament nicht verbirgt. Kennzeichnend an Pasternaks Versen ist sein lebenslanges Unterfangen, noch den unscheinbarsten Dingen ihr innewohnendes Lied abzuringen. Im Gedicht „Definitionen der Poesie“ schlägt er verschiedene Zugänge vor, um sich dem Geheimnis poetischen Wahrnehmung zu nähern: „Wie die süßwilde Erbse im Feld / Wie die Tränen des Alls in den Schoten, / Wie der Figaro, der niederfällt / Auf das Beet als ein Hagel von Noten“. Hellwach und bis ins Innerste hochkonzentriert konzentriert sich Pasternak auf alltägliche Erscheinungen und widmet sich deren Selbstverständnis. Sein neugieriger Blick gibt ungeahnte Möglichkeiten frei.
Kulturell umfassend gebildet genoß es Pasternak zugleich, sich der Natur zuzuwenden. Die Jahreszeiten, die Luft, die Tiere, all diese Elemente finden Eingang in Pasternaks Dichtungen. Zugleich gelingt es ihm, in dieser Zone einer unverfälschten Natur Rückschlüsse auf das menschliche Leben wie auch auf seine eigene unmittelbare Existenz zu gewinnen.
So stellten seine Spaziergänge in der Waldsiedlung Peredelkino außerhalb von Moskau in ganz eigenartiger Weise für Pasternak Inspirationen dar, die ihn einengende Grenzen übersteigen ließen. Mitten im Kalten Krieg schreibt er in seinem Gedicht „Weithörigkeit“: „Nur ich bin da und habs nicht eilig, / Taut schichtweis auch der Schneeharsch weg. / Das Echo trillert wie ein Vogel, / die ganze Welt zeigt mir den Weg“. Pasternaks Verse bilden eine gleichsam organische Verbindung von Kultur und Natur ab. Sein genaues Hinsehen brachte Poesie und Wahrheitsliebe zu einer Übereinkunft. Auch in dieser Hinsicht verkörperte Pasternak den freien Geist russischer Menschenliebe.
Umso bitterer waren für ihn die ideologisch motivierten Demütigungen in seiner Heimat, denen er vor allem im Zusammenhang mit den Vorgängen um die Verleihung des Literaturnobelpreises ausgesetzt war. Pasternaks Leben war der Dichtung gewidmet. Er liebte seine russische Heimat, ihre Sprache, Kultur und Traditionen. Die dichotomische Denkwelt der Sowjetunion hingegen, die zwischen den „Unseren“ und an „Anderen“ unterscheidet, war ihm zutiefst wesensfremd. Das unablässige Aufspüren von Feinden, Spionen und Verrätern widerte ihn geradezu physisch an. Für seine russischen Leser bildeten seine Gedichte Inseln einer anderen Welt, in der von einem Leben in Nachdenklichkeit und Freude berichtet wird, aber auch von Hoffnungen und Sehnsüchten. Im Gedicht „Morgendämmerung“ blickt der Lyriker auf sein Leben. Der Alltag mit seiner Hektik läßt kaum einen Blick auf das Wesentliche zu und auch die uns umgebende Natur scheint hinter den Sorgen zu verschwinden. Umso überraschender dann die Schlußverse: „Mit mir sind Menschen ohne Namen, / Bäume, Kinder, wer noch blieb. / Ich bin schwächer als sie alle, / Und nur darin liegt mein Sieg“.
Zu DDR-Zeiten hatte der Schriftsteller Bernd Jentzsch mit der von ihm 1967 gegründeten Reihe „Poesiealbum“ eine bedeutende Unternehmung ins Leben gerufen. Es ist dem Märkischen Verlag in Wilhelmshorst zu verdanken, daß diese Serie nach langer Unterbrechung in unveränderter Aufmachung wieder erscheint. Neben kurzen bio-bibliographischen Angaben und einigen Stimmen zu Boris Pasternak belegt eine Grafik von Natalja Sergejewna Gontscharowa (1881-1962) die sorgfältige Aufbereitung dieses Heftes. Dem deutschen Publikum wird somit ein überzeugender Zugang zu dieser unverzichtbaren Stimme aus Russland ermöglicht.
Anmerkung der Redaktion:
Stimmen zu Pasternak
Viktor Schkolowski
Marina Zwetajewa
Nachdichtungen aus dem Russischen
Johannes Bobrowski
Hein Czechowski
Günther Deike
Elke Erb
Kerstin Hensel
Rolf-Dietrich Keil
Richard Pietraß
Inhalt
30 Gedichte + 1 Original
Grafik
Natalja Gontscharowa (1881–1962)
Porträtskizze BP von L.O. Pasternak
(1862–1945)
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