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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
Kritik

Ein echter Schindel!

Hamburg

Ein schönes Buch, das mir da aus dem Briefkuvert entgegenfällt, in dem es mir zugeschickt wurde. Gut gestaltet. Handlich. Schon rein äußerlich so etwas wie ein Gedicht. Das ist selten heutzutage. Schlägt man diesen Gedichtband auf, so fallen einem gleich auch die Gedichte entgegen. Und in der Tat: Das Bild trifft. Es sind besondere Gedichte, die Robert Schindel in seinem neuen Band mit dem Titel „scharlachnatter“ 2015 im Suhrkamp-Verlag zusammengefasst und veröffentlicht hat. Jedes für sich. Darunter Sprachreflexionen, Liebesgedichte, Naturgedichte und anderes mehr. Immer wieder auffällig ist seine Sprache, seine Art zu sprechen. Ein Beispiel:

Bedeutung

Im Kreuzgang schleifen die Wörter vor mir her
Im Trappelschritt folge ich ihnen schlucke den Dunst
Den sie von den Silben her hinterlassen der Abrieb
Bringt meine Nase zum Deuten
Hinter mir segeln schwarze Noten
Reste der einstigen Musik sie fahren mir
Vom Rücken zum Gürtel von dort in die Stutzen
Das hampelt das strampelt aber Trompeten
Wenn nicht gar Fanfaren und der Posaunenverein
Saugen ein was zur Musik sich bilden wollte
Die Stille kann im Geruckel den
Rhythmus bloß choreographieren

Endlich ein Stillgestanden der Wörter ich bumse ihnen
Hinten drauf stoße sie vor zur großen Tal- und Atemsperre
Sie stürzen hinab und im Zusammenhang entweicht
Stimmliches welches in allen Ohren einschmuddert
Fell und Knöchelchen durchfährt und die Rede
Kommt an bei mir lässt mein Getrappel innehalten
Ich stehe bevor ich noch stehe im Tale vor mir
Wortstrauch auf Wortstrauch im Schatten zwar aber dürstend.

Ein starkes Bild ist das: Worte im Kreuzgang, die betend, lernend, ja, meditierend ihre Runden drehen! Sie schlurfen, schleifen (wohl alt geworden), laufen weiter und weiter. Dahinter das lyrische Ich, das hinterhertrappelt. Es folgt ihnen fast automatisch und passiv mit musikalischen Traditionsresten im Gepäck. Gemeinsam unterwegs sind alle, egal, ob es um die Natur, das Thema Liebe, die Sprache an sich oder etwas anderes geht. Egal, ob jemand vorneweggeht oder hinterhertrampelt. Das lyrische Ich schluckt, was die Worte aufwirbeln, die Nase beginnt den Abrieb zu deuten.

Eine Sprachreflexion, die es in sich hat! Kurz. Dicht. Prägnant. Und gar nicht so „schwach“, wie das Auftreten der Worte auf den ersten Blick im Kreuzgang erscheint. Vor allem, wenn die (eigene? ) Rede an einem vorbeischlurft und einen innehalten lässt, wie es der Schluss des Gedichtes nahelegt. Vielleicht auch eine Anspielung auf „scharlachnatter“, den Titel des Bandes, der Oscar Wildes „Salomé“ entnommen wurde! Darin vergleicht die Hauptprotagonistin die Zunge von Johannes, dem Täufer, nach dessen Enthauptung bekanntlich mit einer Scharlachnatter. Auf jeden Fall ist es ein Moment des Anhaltens, des Innehaltens, ein Stehen, bevor das lyrische Ich zum Stehen kommt. Und das ist ganz offensichtlich das, was weiterführt. Denn es evoziert einen Entscheidungsprozess, dem sich das lyrische Ich stellen muss, wenn es seinen Durst löschen will. Folgt es weiter den Worten? Oder beginnt es, ihnen (wieder) die Richtung vorzugeben, ihnen also voranzugehen, wohin auch immer?

Das hier ist nur ein Beispiel von vielen gelungenen Gedichten, die dieser Gedichtband enthält. Immer wieder mit überraschenden Wendungen, die ein neues Schlaglicht auf das werfen, was bekannt erscheint. Immer wieder mit Wortneuschöpfungen und Verdichtungen, die die Alltagsworte um sie herum an die Hand nehmen und in ein neues Licht rücken. Immer wieder auch mit Wortspielen, die das Angesprochene durcheinanderwirbeln und Zusammenhänge neu entstehen lassen. Ein echter Schindel also! Wieder einmal.

Robert Schindel
Scharlachnatter
Gedichte
Suhrkamp
2015 · 100 Seiten · 20,95 Euro
ISBN:
978-3-518-42486-5

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