Kölner Schimpftiraden
Der Film „Brinkmanns Zorn“ zeigt Rolf Dieter Brinkmanns Streifzüge durch die Domstadt
Köln 1973: Ein Mann im Trenchcoat auf der Pirsch im Dickicht der Großstadt. Das Tonbandgerät geschultert, streift er durch die Straßen, kommentiert, was er sieht: „Ein gelber schmutziger Himmel … ein mieser gelber, dreckiger, schmutziger Kölner Himmel, ein mieser Himmel, ein verdammter Scheißdreck von Himmel, ein mieser gelber schmutziger Kölner verfluchter elender Kackhimmel, ein von Lichtfetzen verkackter Himmel.“
Schreiben „nur noch zum Spaß“?
Der da so vehement anschimpft gegen die milchig sich auftürmende Wolkendecke ist Rolf Dieter Brinkmann (1940-1975). Laut Heiner Müller „vielleicht das einzige Genie der westdeutschen Nachkriegsliteratur“ – zwei Jahre vor seinem Tod allerdings ein desillusionierter Schriftsteller, der sich freiwillig aus dem Literaturbetrieb zurückgezogen hat. In den 60ern noch als experimentierfreudiger Underground-Lyriker gerühmt, ist er zu der Einsicht gekommen, dass Sprache zur Welterkenntnis nicht taugt. Er will sich ganz aufs Fotografieren, Filmen und Dokumentieren seines Alltags verlegen. Schreiben? „Nur noch zum Spaß“, behauptet er.
Stattdessen erhält Brinkmann im Herbst 1973 vom WDR den Auftrag, ein maximal einstündiges Selbstporträt zu produzieren. Auf besagten Streifzügen will er unverstellte Realität zeigen, das Tonband läuft immer mit. Diese Aufzeichnungen aus seinem Nachlass bilden die Grundlage für Harald Bergmanns Film „Brinkmanns Zorn“, der am 9. Januar in der Volksbühne Premiere feierte und am 11. Januar in über 20 Städten bundesweit angelaufen ist. Eine ungewöhnliche Mischform aus dokumentarischem Ton-Material und Inszenierung.
Eckhard Rhode sehr überzeugend
Der Regisseur nutzt die Originaltöne, um die Ereignisse mit Hauptdarsteller Eckhard Rhode als Brinkmann in Szene zu setzen. Der agiert wie die anderen Schauspieler lippensynchron zu den Aufnahmen. Fast vergisst man, dass Ton und Bild künstlich zusammengefügt worden sind. Derart überzeugend verkörpert Rhode den Autor, dessen Sprachduktus er perfekt einstudiert hat. In seinem Gesicht spiegeln sich genau jene existenzielle Wut und Enttäuschung, die es braucht, um die Verbalattacken, mit denen der zivilisationsmüde Autor seine Umwelt zurechtstutzte, glaubhaft zu transportieren.
Die Handkamera von Elfi Mikesch erzeugt Nähe und Tempo, verlangsamte Sequenzen und unterlegte Elektrobeats sorgen zusätzlich für atmosphärische Dichte und Energie. Man folgt den Pfaden eines Misanthropen, auf den der urbane Raum als ruinöse Drohkulisse wirkt. „Oben IBM und unten läuft die Pisse raus“, lautet der knackige Kommentar zum Firmengebäude. Und der berühmt-berüchtigte rheinische Frohsinn? Keine Spur davon. Im Gegenteil: „Diese Stadt habe ich immer gehasst, diese verschleimte, schmierige Sprache“ – ganz zu schweigen von den Namen der aus seiner Sicht dazu passenden Vororte wie Sülz, Kalk oder Zollstock.
Radikal und subjektiv
Die wüst subjektiven Vermessungen der Stadt kontrastieren private, intime Momente: Brinkmann zeigt sich hier als Familienvater, der sich rührend um seinen sprachbehinderten Sohn Robert (geboren 1964) kümmert. Bei gemeinsamen Sprechübungen verfällt der sprachgewaltige Berserker in einen zärtlichen Plauderton. Dank der spürbaren Authentizität kann der Zuschauer die dem Alltag abgelauschten Momente intensiv nachempfinden. An manchen Stellen wirken die Dialoge etwas hölzern, was aber der künstlichen Interviewsituation zwischen Rolf Dieter Brinkmann und seiner Frau im Original geschuldet ist.
Im Spannungsfeld zwischen Familie, Großstadt und der Auseinandersetzung mit Sprache bewegt er sich durch die enge Wohnung in der Engelbertstraße und inmitten kölscher Straßenschluchten – den Weg als Ziel in diesem Labyrinth. Zufällige Reisestrahlen vor Augen, fühlt er sich beim Schildern seiner Eindrücke ausschließlich der eigenen Wahrnehmung verpflichtet. Ein radikal subjektives Programm.
Sprache als Gefängnis
Seine Mitmenschen reduziert er zu Gefangenen ihrer Vorstellungen, von Massenmedien verdummt, mit Wörtern reguliert und kontrolliert. Ihre Sprache ist keine eigene Ausdrucksform und „sie bemessen die Gegenwart zu knapp, dass man sich dauernd irgendwo verletzt“. Wenn „alles verhärtet und versteinert“ ist, wo sollen plötzlich lebendige Situationen entstehen? fragt er sich.
Ausgewildert in einem solch verwahrlosten Sprachbezirk, begibt sich Brinkmann auf die Suche nach einer Wahrheit hinter den sinnentleerten Worten. Paradox scheint, dass er, der die Sprache als Form des Erkenntnisgewinns nahezu aufgegeben hat, gleichzeitig aber auf sie angewiesen ist: zum einen, um sich selbst auszudrücken; zum anderen, um wenigstens in Ansätzen mit seinem Sohn kommunizieren zu können.
Robert ist genauso isoliert wie der Vater, beide sind auf ihre Weise in einen Autismus verfallen. Fast wirkt es wie eine tragische Ironie des Schicksals, dass der Sohn einer so kraftvollen Sprachbegabung wie Rolf Dieter Brinkmann kaum mehr als ein paar Laute von sich geben kann. Aber in den gemeinsamen Augenblicken zeigt sich im Film, dass der vehemente Autor kein permanent fluchender Misanthrop war, sondern eben auch ein liebevoller Vater.
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