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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Der fünffache Autor

Hamburg

Was macht eine gute Biographie aus? Ist es die gut recherchierte und detailgetreue Nacherzählung eines Lebens? Ist es eine gewisse voyeuristische Neugier am Privaten hinter dem Öffentlichen? Oder ist es die kritische Verortung eines Menschen in seiner Zeit? Die schnödeste und richtigste aller Antworten kann nur lauten: Von allem etwas! Es kommt jedoch auf die richtige Gewichtung an.

Der Untertitel von Rolf Hosfelds Tucholsky-Biografie, verrät jedoch schon im Ansatz, auf welche Gewichtung es der Autor abgesehen hat: „Ein deutsches Leben“. Hosfeld zeichnet darin vor allem den Weg des Publizisten, des politischen Feuilletonisten Tucholsky nach, ohne jedoch auf Privates zu verzichten. So bilden die Entstehungsgeschichten von Rheinsberg und Schloß Gripsholm die wesentlichen dramaturgischen Eckpunkte bzw. Anfang und Ende des biographischen Erzählens. Das sind die Geschichten des liebenden Tucholskys, die Hosfeld respektvoll und dennoch detailgetreu erzählt.

Die Detailtreue Hosfelds gründet sich auf dessen hervorragender Recherche, welche die Lebensbeschreibung des literarischen Tausendsassas Tucholsky eigentlich zu einem Geschichtsbuch macht. Denn über weite Strecken ergeht sich Hosfeld in den politischen Beschreibungen der turbulenten Zeit zwischen 1890 und 1935. Das wäre, weil uns die Geschichtsstunden zu den Weltkriegen und der Weimarer Republik noch in gutem Gedächtnis sind, ermüdend, würden Autor (und Leser) vergessen, dass es sich hier um eine Biographie handelt. Und so kommentiert Hosfeld die historischen Prozesse im Deutschland dieser Zeit mit zahlreichen Zitaten Tucholskys.

„Hindenburg, meint Tucholsky nach der Wahl, das bedeute ‚die Republik auf Abruf‘, Krach mit aller Welt und letztlich Krieg. Und nun? Der alte Generalfeldmarschall, ‚dem der Krieg wie eine Badekur bekommen ist‘, ein unselbstständiger Mensch, wird sich von der denkbar schlechtesten Gesellschaft in seinem Umfeld leiten lassen. ‚Sie wird ihn beraten?‘, fragt er. ‚Nein, sie wird regieren. Und er wird tun, was er sein ganzes Leben getan hat: er wird unterschreiben.‘“

Überhaupt versteht es Hosfeld Tucholskys Sorgen und Ängste als pazifistischer Deutscher in einer Zeit, in der sein Land von einem Weltkrieg in den anderen taumelt, darzustellen. Dass Tucholsky ein scharfer Beobachter, ein bissiger Satiriker und von einigem politischen Sachverstand war, ist bekannt. Was das aber letztlich bedeutete, wie es sich in seinem Texten und der öffentlichen Wahrnehmung seiner Person niederschlug, erfahren wir durch Hosfeld. So wird sein Buch automatisch auch zu einer Biographie der Weltbühne, jener bedeutenden „Wochenschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft“, deren langjähriger Mitarbeiter und zwischenzeitlicher Herausgeber Tucholsky war.

Doch nicht nur die Zeit um ihn herum war zerrissen. Ihr Kritiker selbst war es auch. Ignaz Wrobel, Peter Panter, Theobald Tiger, schließlich Kaspar Hauser – Tucholsky hatte nicht nur viele Namen, im Laufe der Zeit entwickelten seine Pseudonyme fast eigenständige Persönlichkeiten. Tucholsky wusste das, wusste es aber nicht immer zu kontrollieren. „Ich bin viele. ‚Pseudonyme sind wie kleine Menschen‘, meint er 1927; ‚es ist gefährlich, Namen zu erfinden, sich für jemand anders auszugeben, Namen anzulegen – ein Name lebt. Und was als Spielerei begonnen hatte, endete als heitere Schizophrenie.‘“ Folgerichtig und konsequent behandelt Hosfeld Tucholsky als einen fünffachen Autor, den er, geht es um die entsprechenden Texte, stets mit dem jeweiligen Pseudonym anredet.

Alles in allem ist Hosfeld ein Buch geglückt, das als Tucholsky-Biographie gelten kann, jedoch um einiges darüber hinausreicht. Wie das Leben des Dargestellten sich in jeder Hinsicht zwischen den Stühlen abspielte, so kommt auch „Tucholsky. Ein deutsches Leben“ als historisches Panorama mit dem Fixstern Tucholsky daher. Das wird vor allem historisch Interessierten gefallen, den Voyeur aber gleichermaßen befriedigen.

Rolf Hosfeld
Tucholsky
Ein deutsches Leben
Siedler
2012 · 320 Seiten · 21,99 Euro
ISBN:
978-3-886809745

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