Anzeige
Komm! Ins Offene haus für poesie
x
Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Wenn der Aleppobaum schwere Früchte trägt

Hamburg

Was bei Ron Winklers neuem Band Karten aus Gebieten zuerst auffällt, ist dessen Umfang: Genau hundert beschriebene Seiten, in denen sich eine breite Kluft auftut zwischen dem, was tatsächlich diesen Band reizvoll macht und dem, was als loses Beiwerk einen weiteren nicht minder interessanten Band hätte füllen können. Denn das Herzstück von Karten aus Gebieten ist ebenjener titelgebende Zyklus, auf den auch der Klappentext mit einer seichten Interpretation verweist. Doch das Unverständnis über den Drang, Lyrikbände wie Lastesel zu behandeln und dem lahmenden Tier alles irgendwie Brauchbare aufzubinden, beginnt und endet nicht mit Winklers Band – es ist eher Ausdruck einer Verlagslandschaft, die es verlernt hat, mit Gedichten und mit der Lyrik im Allgemeinen umzugehen!

In Karten aus Gebieten schlägt sich das ganz einfach im Gewicht der einzelnen Gedichte nieder: Allein der titelgebende Zyklus ist derart überbordend und fordernd, dass er für sich allein abgedruckt eindringlicher ausgefallen wäre als eingeklemmt zwischen den drei anderen Zyklen. Winkler kokettiert unentwegt mit dem Vagen, lässt seinen Leser*innen kaum Raum, sich in den sorgfältig gearbeiteten Gedichten zurechtzufinden. Dabei scheut der Autor keine Mühe, unsere gängigen Lesegewohnheiten über Bord zu werfen: Ausufernde Komposita stehen hier einer fast zum Programm erkorenen Umdeutung der Verben gegenüber. Dass der Autor Gefahr läuft, die eigenen Texte unter einem neologistischen Wortwust zu begraben, scheint zweitrangig. Das Bersekerhafte an diesen Gedichten ist ihr Reiz und Fluch zugleich. Die Bilder gehen dann auf, wenn Wirkung und Ursache nah bei einander liegen:

„[…] ich sagte: „Adieu bye, Odysseus“,
überließ dem Himmel
die Bläuungshoheit und pflanzte
dir ein kleines überweiches Stiefmeinnicht.“ (Apokryphen von den Séancellen)

Der Autor verlangt seinen Bildern sehr viel ab, was zu teils seltsamen Konstellationen bezüglich der Verbnutzung führt. Nun mag das Ausdruck zeitgenössischer Lyrik sein, die nicht jedem gefallen mag, dennoch – und das muss man ihm zugutehalten – zieht der Autor sein Programm durch, geht konsequent sprachlich äußerst schwierige Wege. Der Klappentext verweist hier auf die sogenannten „flektierten Landschaften“, die jedoch nicht immer aufgehen bzw. über ihr Ziel hinausschießen.

„ich war squirreliger als viele andere jetzt, schrieb ich
Gedichte? ich weiß,
ich hatte bis zum Morgen Licht
gelaufen, obwohl doch die Schneerenen heulten,
die Tonnen für Altsauerstoff, die mussten leer sein jetzt, es ging um
dich, ich sag dir: Taxi, bring mich ans Ende
des Blütenblatts, ich zahl mit Karte
und: jag die Wimpern
über den Jordan,
das heißt die von der UNO nicht erfassten Dörfer,
du bist auch ohne schön, Schwester
des Dritten, ich mein es
gut, ich habe diese Regung aus den Büchern
der Techniken für Männer, betrachte mich
mit Heimat, vom Tempeldach der fahrbaren Moschee
an unserer Seite singt sanft der Rebbezin,
es muss ein Lied sein so
wie obdachgroßes Blech. polizistischere Menschen
als wir würden das nicht verstehen
oder doch nur, bis sie der Nebel holt.“ (Halloween)

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier jemand sehr viel in einen Rahmen (hier der Hinweis auf Seite 7 des Bandes, auf der ein sogenanntes Grundstück für ein Gedicht abgebildet ist) hineinpressen möchte, der für derart Überbordendes jedoch nicht gemacht ist. Eine etwas direktere Sprache hätte manch sehr schönem Gedanken mehr Raum zur Entfaltung gegeben. Dahingehend muten die Zeilen aus dem Gedicht Phase drei fast programmatisch an:  „[…] der Synchronsprecher betonte alles sehr / wie Wald, vergaß aber / die Wesen, die, auch wenn sie größer waren, Tiere schienen, / das war wirklich / schön […]“

Vieles in diesem Band bemüht sich um die Betonung, nicht aber um die Bilder selbst. Diese gleichen mehr Umschreibungen, kryptischen Gebilden changierend zwischen Tagespolitik und sinnfreier Ornamentik. Und genau deshalb hätte dem Band eine Entschlackung sicherlich gut getan. Allein das Lesen des aus 53 sogenannten Pfaden und zwei Idomeni-Gedichten bestehenden Zyklus´ Karten aus Gebieten erfordert höchste Konzentration und genaues Hinschauen.

Die Auseinandersetzung mit tagesaktuellen Themen wie Krieg, Migration oder Flucht findet hier auf den verschiedensten Ebenen sprachlicher Variation statt. Der Autor lotet Ich-Konstruktionen aus, versucht, jedem Gedicht eine eigene Stimme zu verleihen. Mal wirken die Wörter ausgestellt und nackt, mal pointiert und konzentriert. Dabei sind die direktesten Gedichte die stärksten:

„Ich bin in der Stadt. Ich
schlafe. Weil ich den Zweispitz trage. Barrikaden
baue, bauen.
Mein Schädel wächst noch, so
dass ich schlafe. Es gibt Momente
des Schwarzweiß
bis in die Adern.
Kollabierendes Schwarzweiß. Ich bin
glücklich. Schlafe. Übertrage
Musik auf meine Lippen. Hier verläuft ein Staat
im Sande, aber das Wetter ist gut.
Schlaf. Es ist, als ob es knistert
in meinem Flaum. Als wolle mich etwas
quittieren. Unergründlich nah
ist mir die Nichtstreamfähigkeit des Meeres,
das hier manchmal
durch die Keller brandet.“ (Pfad 17)

Die Stärke dieses Zyklus´ liegt in dessen inhaltlichem Programm, das beispielsweise im Gedicht Pfad 26 besonders zur Geltung kommt. Der im Klappentext unterstrichene Gegensatz von Cluburlaub und Aleppo wird hier sehr deutlich: „[…] Es sind angenehme Menschen, sie lieben / ungefiltertes Benzin, ihre Elektroschocker sind sehr handlich. Seit gestern / wohnen wir / in einer jener blutfarbenen Strukturen in der Vorvorstadt / und trinken Champagner / zur Thromboseprophylaxe. […]“ Dass Zynismus und der Ekel vor demselben nah bei einander liegen, das unterstreichen diese Gedichte. So gesehen sind sie der erfrischende Beitrag eines deutschsprachigen Lyrikers innerhalb einer von Plattitüden zersetzten Thematik, die erst durch Gedichte von beispielsweise Ghayath Almadhoun eine ernstzunehmende und eindrückliche Sprache bekam.

Freilich gäbe es noch viel über diesen Band zu sagen. Vor allem im letzten Zyklus Und Spiele arbeitet sich der Autor sprachlich virtuos an Begriffen wie Schönheit, Tanz oder Pollen ab. Doch wirkt er im Kontext des Vorhergehenden eher fehl am Platz. Man fühlt sich leicht überfordert mit dem Buch, vor allem, weil viel Konträres hier aufeinandertrifft. So kann man am Ende auch nicht umher, in den Gedichten selber nach einer Antwort auf diese Überforderung zu suchen:

„Sobald die Augen schließen, sehen wir / komplexe Schemen ohne Bauplan. […]“ (Pfad 15).       

Ron Winkler
Karten aus Gebieten
Umschlaggestaltung: Ivonne Dippmann
Schöffling & Co
2017 · 112 Seiten · 20,00 Euro
ISBN:
978-3-89561-256-5

Fixpoetry 2017
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge