Brücken ins Denken
Wie schon bei „Schlüssel zur Sprache Amerikas“ ist es Waldrops eigener ambivalenter Haltung zwischen den Kulturen und Sprachen zu verdanken, dass sie feststehende Texte aufbrechen und neu betrachten kann. Dieses Mal sind es Sätze und grammatische Strukturen von Friedrich Hölderlin, die Rosmarie Waldrop zum Ausgangsmaterial eines Zyklus macht. Fünf Kapitel mit je fünf Strophen. Überschriften, die immer weiter ins Offene führen. Vom Torweg, eng und überschaubar, bis in den offenen Horizont am Meer.
„Ein anderes ist es, Dein Haus zu verlassen und Atlantik, Mittelmeer,
Ägäis, Pazifik zu kreuzen. So viele sind getötet worden. Und ein
jeder steht. In einem Torweg. Und sagt hier lebe ich nicht.“
Schockierend an diesem Satz ist, dass er gerade schmerzhaft aktuell ist. Was könnte passender sein zur derzeitigen politischen Lage, in diesem Sommer, in dem sich eine Hälfte der Menschheit an den Stränden erholt, an denen die andere ertrinkt?
Aber nicht nur wegen der Bedeutungsschwere des Satzes, seinem Bezug zu einem Sterben dem wir hier in Europa fassungslos oder schlimmstenfalls unbeteiligt zusehen, fällt es mir schwer, etwas zu schreiben über Rosmarie Waldrops „Hölderlin Hybride“.
Überzuleiten zu den abstrakten Fragen, denen dort nachgegangen gibt. Fragen nach Erinnerung, Vergangenheit, dem Urtrennungserlebnis des Menschen und wie es ihn prägt.
„Was geht in der Seele vor das wir verstehn müssen aber nicht können?“ Das ist vielleicht die Urfrage, die allem zugrunde liegt. Nicht nur diesem Zyklus, sondern jeder Form von Kunst allgemein.
Ich bemerke einen allgemeinen Widerstand, etwas zu diesem Zyklus zu schreiben, der Offenheit von Waldrops Versen durch meine Interpretation eine Richtung zu geben. Und dadurch womöglich Bedeutungsräume zu schließen, statt sie in ihrer Offenheit zu bewundern.
Dabei ist deutlich, dass es in Waldrops Zyklus „Hölderlin Hybride“ unterschwellig und grundlegend um das Aus- und Einwandern geht. Von einem Sprachraum in den anderen. Und mehr noch vermutlich um all die Zwischenräume, die dadurch entstehen, zwischen den Sprachen. Neue Wortwelten, die vielleicht Dinge sichtbar machen können, die bislang im toten Winkel lagen beim Übergang, beim Übersetzen von einer Sprache in die andere.
In einem Interview aus dem Jahr 1991 sagte Rosmarie Waldrop: „die einzige Transzendenz, die uns zur Verfügung steht, in die wir eindringen können, ist die Sprache.“ Ihre Schriften machen deutlich, wie sehr die Einwanderung in eine andere Sprache, (Rosmarie Waldrop, 1935 in Kitzingen am Main geboren, lebt seit 1958 in den Vereinigten Staaten) diese Dichterin sensibilisiert hat für die Zwischenräume, für das, was zwischen den Worten, den Sätzen, den Kulturen steht. Unausgesprochen, aber nicht weniger wirksam.
Thomas Schestag hat Waldrops Prosagedichte, die 1998 im Band „Blindsight“ in New York erschienen sind, für roughbooks ins Deutsche übersetzt. Auf dem Buchumschlag schreibt er: „Was tut die Sprache der Ausgewanderten den Ausgewanderten. [...] Was tun Auswandernde der Sprache, die sie mitnehmen? Die sie mitnimmt. Einwandernd. An. [...] Die Rede verzeichnet, vom Auge in der anderen Sprache.“
Und eigentlich müsste man alles zitieren von diesem Buchumschlagstext, der ebenso wunderbar ist, wie die kongeniale Übersetzung Schestags.
Der Zyklus „Hölderlin Hybride“ ist, wie der Titel betont, ein Mischwesen. Zwitter zwischen ausgewanderter und eingewanderter Sprache, zwischen Mann und Frau. Immer wieder versuchen die Gedichte Fragen aufzuwerfen und Brücken zu schlagen in ein mögliches Verstehen:
„Vielleicht ist das Vergangene genug für das Vergangene und all seine
Bewohner. Sie müssen nicht aus der Versenkung gezogen werden.
Doch wenn ich sie wiederhole ohne zu wissen dass ich wiederhole? Bin
ich in meinem eigenen Leib?“„Oder ist, wie die Götter, Vergangenheit ohne Gefühl? und tastet
nach unseren Gefühlen damit sie nicht durchsichtig wird? Wie eine
unerblickte Frau? Blasser und blasser zwischen den Seiten von
Grimms Kinder- und Haus-Märchen?“„Gewaltsam werden unsere Körper aus unseren Müttern gezogen.
Und seither gehen wir fast wie Waisen. Mit einer Narbe im Gehirn.“„Und Dante sagte Engel brauchen kein Gedächtnis weil sie
unausgesetzt verstehn. Wir aber. Um ins Denken einzutreten.
Brauchen eine Brücke.“
Vielleicht spiegelt sich dieses gewaltsame Ur-Trennungserlebnis wider in der Sprache. Und die Brücken, die wir zu schlagen versuchen, spiegeln sich in der Übersetzung von einer Sprache in die andere. Sowohl wenn es sich um andere Sprachräume handelt, als auch wenn wir in derselben Sprache versuchen, einander zu verstehen.
„Wie wir anfingen bleiben wir? Nicht Wörtern also würde Denken
sich zuwenden sondern unserm ersten einströmenden Sonnenlicht.
Dem Zornesausbruch der den Leib zerreißt. Wie ein Blitz die Erde.“
„Das Auge, das ich mitgebracht habe, verlangsamen“, schreibt Schestag zu seiner Übersetzung von Rosmarie Waldrops Hölderlin Hybriden.
Rosmarie Waldrop hat Gedichte geschrieben und Thomas Schestag hat Wortgebilde übersetzt, von denen schließlich Wörter übrigbleiben, die sich auflösen und im Körper verteilen. Barthes schreibt in seinem Buch „Die Lust am Text“:
„Der alte biblische Mythos kehrt sich um, die Verwirrung der Sprachen ist keine Strafe mehr, das Subjekt gelangt zur Wollust durch die Kohabitation der Sprachen, die nebeneinander arbeiten: der Text der Lust, das ist das glückliche Babel.“
Was man in den Hölderlin Hybride erfahren darf, ist nicht zuletzt diese bei Barthes anklingende besondere Art von Sinnlichkeit, wenn zwei Sprachen sich berühren.
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