Ubi verba, ibi utinam Görner
Rüdiger Görner, einer der wichtigsten Germanisten – stellvertretend für viele Ehrungen und Titel sei erwähnt, daß er 2012 Preisträger des Deutschen Sprachpreises, den die Henning-Kaufmann-Stiftung im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft verleiht, ist, ist der Verfasser zahlloser geistvoller Studien wie auch anderer Texte, die sich allesamt durch Integrität und zugleich doch Beweglichkeit auszeichnen. Stil klärt bei ihm, Erklärungen Görners aber haben immer Stil.
Mit dementsprechend hohen Erwartungen liest man seine Essays, die Sprachrausch und Sprachverlust, dieses „Schweben”, das dem Österreichischen eignet, wie Görner sagt, behandeln – und sie erfüllen nicht nur, was man erhofft, sie sind im Grunde einfach ein Glücken. Unter anderem darum, weil es in diesem Band zwar um österreichische Literatur geht, aber auch deutsche, die der Welt – und darum, was Schreiben denn überhaupt sei.
Dabei ist die Methode letztlich der Text selbst, sie erschließen bei Görner sich selbst, was in ihnen ist, das „lauert” auf den Leser wie dieser auf das, was sich im Text formiert. Close reading ist das, was mehr ist, als es verspricht: Es ist geradezu der Text selbst, seine „Grammatik”, der sich Görner im Merkur 2002 in einem empfehlenswerten Aufsatz widmete. Ihr Gegenteil und das, was dieser Interpret scheut, ist, wenn ein Text „Seinsverfangenheit” entwickelt, „anti-kinetisch” zu werden droht. Man ahnt: Dieser Leser beobachtet nur, doch dieses Nur initiiert feinste Exegesen mit dank akkurater Intuition stets klug gewählten heuristischen Begriffen. Das wird zum Grundsatzproblem, wo Görner von den Existenzbedingungen Celans einerseits und seinen Verwaltern andererseits schreibt, sowie mit dessen Frau Gisèle, ob in deren „Karteikarten, Fotokopien, Belegstellen” nicht verloren gehe, was „die Dichtung wirklich ist.” Allein der Umstand, bei Schutting statt von Versen unklassisch von „Sprachphase(n)” zu schreiben, läßt erahnen, daß sich hier „Gründlichkeit […] mit Grundsatzlosigkeit” vermählt, wie Benjamin eine begnadete Philologie einst skizzierte. Literatur und ihre oft hinterhältige ancilla, die Philologie, sorgen dafür, daß „das Wort von sich selbst” „erzählt”…
Dazu zählt auch Görners Sinn für Auslassungen, Goethes etwa, der in der österreichischen Literatur absent sei. Das ist – wie der Titel, der eine Polemik schon ankündigt, gar nicht verhehlt – übertrieben, doch mit jener Genauigkeit, die man von der Hyperbolik Bernhards kennt. Dabei mag man nicht immer zum gleichen Resultat wie Görner kommen; Gauß’ Vorbehalte gegen Aichingers Spätwerk insbesondere sind schlagend, wo Görner die Behutsamkeit weniger klar formulieren läßt, „querbalkenhaft” ist dieses Werk bei ihm, doch zuletzt ist sogar hier, wo man zunächst Unbehagen haben mag, dieser Autor doch insofern im Recht, als er Wahrheit und Werk scheidet. „Ubi verba, ibi initia”, am Leser liegt es, Aichinger zu lesen, was vielleicht einen subtilen Widerspruch zu Görners Befundung bei Trakl ist, aber als Vorbehalt wider die eigene Position diese – als „toxisches Tonikum” – nobilitiert… Dieser Beharrung gerade in Spannung und Brechung hat Görner vor fünf Jahren eine eigene Studie gewidmet, die hier auch noch einmal erwähnt sei. (literaturkritik/11.07.2007)
Görner liest so Texte, aber auch Bilder, etwa das berühmte, das Celan und Bachmann bei der Gruppe 47 zeigt, von dem aus Schlaglichter auf die Dichtung beider geworfen werden. Vielleicht ist Doderers Gewogenheit Celan gegenüber dabei tatsächlich „unvermutet”, wie es hier heißt, vielleicht sind die Realien zu bekannt; auch dies ist Kunst: zu staunen, wo viele es längst achselzuckend zur Kenntnis oder Unkenntnis nahmen.
So gelangt man von Betrachtung zu Betrachtung; was die Interpretamente und pointierten Raffungen ergeben, das ist insgesamt ein Bild der Beweglichkeit im Literarischen: des Möglichen in den Texten, die eines Lesers harren, welcher so exemplarisch wie dieser Germanist scheinbar nichts tun, als dies: zu hören, zu sehen … zur Sprache kommen zu lassen. Überaus lesenswert..!
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