Spannendes, Gespanntes.
Es geschieht – und nicht selten –, daß man als Rezensent über ein Gebiet, das einem nicht ganz so vertraut ist, fachsimpelt, weil man eine Studie zu diesem rezensiert und also per se zumindest die Kompetenz dessen, den samt seiner Kompetenz man implizit beurteilt, aufzubringen hat, nein: hätte. Man müßte fachlich ansatzweise eigentlich auf Augenhöhe sein, dürfte nicht allein die Texte dessen, der im Fokus einer Monographie steht, kennen, sondern hätte auch den Stand der Forschung parat zu haben, was weit abseits der eigenen Forschung doch fast unmöglich ist.
Im Falle Stefan Zweigs kenne ich einige seiner Texte, gewiß zuwenige; und die Forschung ist mir nur fragmentarisch bekannt; und doch kann ich Rüdiger Görners Studie bzw. zu einer Monographie vereinte Studien besprechen. Warum? Aus einem paradoxen Grund: Weil auch jemand, der von Stefan Zweig überhaupt nichts wüßte und also schon geschlagen ins Duell mit dem Rezensierten zöge, eines hier sofort erkennen könnte: Ein Forschungsstand, bei dem dieses Buch kein Gewinn wäre, ist schlechterdings unvorstellbar.
Im Detail heißt dies, daß Görner (und man erwartete es nicht anders) seine Desiderate als System entwickelt, in Konstellation, genauestens aufs Wort, aber auch die Stringenz achtend, kurzum so, wie er es mit Benjamin von Zweig formuliert: „dialektisch gespannt zwischen den Polen der Unordnung und der Ordnung“… Dieses Buch ist penibel, ohne einen tumben Positivismus sich zu gestatten, doch methodisch, indem es den Text die Grenze der Verfahrensweise sein läßt – Philologie im besten Sinne, und mit jener Liebe, die diesem Wort ja innewohnt, gepflogen: Die Verehrung Zweigs ist aber stets Verpflichtung zu einem darum noch genaueren und kritischeren Blick.
Das Individuelle, das „übermenschlich menschliche[n]“ Gepräge des Werks einerseits, andererseits das Politische, das etwa an Pläne Brochs erinnernde Große des Wurfs eines moralischen Parlaments, das Gestrige eines „yesterday’s man“ wie das Utopische noch im Nicht-Mitmachen, der Versuch, im Humanismus gegen Hitler argumentativen Halt zu finden, vereitelt durch den Umstand, daß der Humanismus selbst kompromittiert genug seiner wenn nicht „Dekonstruktion“, so doch „Entlarvung“ nur harrte, all das faßt dieses Buch ins Auge, um eines im anderen zu erhellen und das Ganze aus so nie preisgegebenen Details zu ahnen.
Dazwischen formuliert Görner mit einer bewundernswerten Leichtigkeit eine Theorie der Muse – „Muse ist demnach, wer ubiquitär bezeugen kann“ –, wie er das Revolutionäre gerade im als konservativ verunglimpften Schönen identifiziert, mit Zweigs Einlassungen zu Händel, der „diverse Kulturen […] komponierend zu umfassen und zu durchdringen“ wußte, was übrigens einer der wenigen Befunde ist, an denen man rühren könnte, da er zwar Zweig gegenüber vollendete Einfühlung ist, aber die „von der Musikhistorie Händel bescheinigte Synthese von italienischer Opernhomophonie und deutscher Kontrapunktik“ beispielsweise Adorno aus guten Gründen gerade nicht gegeben schien. Die Pointe der Studie aber ist dann akkurat und keinesfalls billig; das Transzendente des Schönen sei das alles Aufbrechende, das Revolutionäre an ihm: „Und eben das hatte Zweig fasziniert“.
Alles in allem ist Görners Band zu Zweig ein Textkonvulut, das sich sehr stimmig zu einem Bild des Autoren entfaltet, aber auch eine hochdifferenzierte Antwort auf die Frage, was Literatur könne und müsse. Womit es von einem, der von Zweig wahrscheinlich nicht genug weiß, eben empfohlen kann: denen, die Zweig noch kennenlernen, aber auch jenen, die ihn zu kennen schon vermeinten. Eine Entdeckung ist dieses Buch, und zwar eine, die weitere nach sich zieht.
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