Tiere in Zitaten und vor allem in Los Angeles
Bevor ich das Vorwort lese, lasse ich den wunderbaren Titel auf mich wirken, und überlege, was gemeint sein könnte: "Tiere in Architektur" -
Tierdarstellungen in der Architektur? Tiere als Architekten von Termitenbauten, Nestern, Spinnennetzen? Oder Tiere und die Architektur des Zoos?
Das Vorwort, ein wortgewandtes, prägnantes Essay über die Geschichte des Zoos und das Verhältnis Tier-Mensch in diesem Zusammenhang incl. Motivationen, warum Zoos erbaut werden, warum Menschen den Zoo besuchen... bis hin zur Präsentation der Tiere bzw. sich selbst, verspricht einen Schwerpunkt in Richtung des letzteren.
Ich lasse mich drauf ein, begebe mich auf Lesafari (beherzt immer wieder in den fotogrünen Anhang blätternd), doch meine Neugierde wird nicht befriedigt, weil ich hauptsächlich nach Amerika (dort L.A.) geführt werde und mehr Zitate (gern auf Englisch, aus Songtexten oder Filmen) und Bruchstücke als erkenntnisreiche Verbindungen oder poetische Übertragungen vorfinde.
Interessant wären doch auch oder gerade Zoos in anderen Ländern, z.B. Russland, Afrika, Indien, z.B. Jaipur... da lese ich in einem Touristen-Blog (ja, die Lektüre des Buches führt mich immer wieder ins Internet, weil ich ja wissen möchte, wo die Zitate herkommen) über den Zoo in Jaipur: ob sich der Besuch lohne? Starke Proteste wegen nicht artgerechter Tierhaltung. Doch eine andere Stimme: Natürlich lohne sich der Besuch, meint einer, weil das ein Ort sei, wo ihm endlich niemand mehr etwas verkaufen wolle und er mal "ganz ohne Kultur" ein bisschen Ruhe tanken könne. (In Deutschland hingegen kann eine Familie für einen Zoobesuch gut 70,- Euro ausgeben, und bekommt darin dann noch munter mehr Geld aus den Taschen gezogen.)
Aber vielleicht sollte ich das Vorwort nicht so ernst nehmen und mehr als einen eigenständigen Text innerhalb der Sammlung sehen.
Immerhin führt mich die Lektüre dann auch in ganz unerwartete Gefilde, ein Hotel namens Flamingo, ein Staudamm, in dem ein Hund wohnt, Katzen auf dem Friedhof, ein Ibis, der an Kopftuchträgerinnen oder Vermummte erinnert und aktuelle, politische Diskussionen aufruft.
Niemand spricht der Autorin Geistreichtum und Fantasie ab. Aber auf sprachlicher Ebene, einschließlich Verortung der Erzählperspektive, empfinde ich zuweilen Unbehagen. Warum.
Am Abend komme ich völlig genervt von der Weihnachtsfeier meines Sohnes. Eine Mutter, mit deren Sohn mein Kleiner sich seit einem Dreivierteljahr vergeblich versucht zu verabreden, hatte sich auf mich gestürzt, mir meine Handynummer entlockt und mich erfolgreich über die Freizeitgestaltung meines Sohnes ausgefragt. Als ich ihr sagte, dass er einen Musikkurs besucht, zu dem ich ihn regelmäßig fahre, hakte sie ein. Es dauerte etwas, bis ich begriff, dass sie - alleinerziehend - die Kontakte auf der Feier nutzte, um ihre Kinder logistisch zu organisieren. Um Freundschaften ging es erst in zweiter Linie. Aber die arme Mutter, wie konnte ich so denken...
"Man müsste ätzend sein, damit einen die Leute in Ruhe lassen!", klage ich meinem Mann.
"Das will man aber nicht,... d.h. ich will das nicht."
"Ich habe eben MAN gesagt, weil ich mich das auch nicht traue."
Genau das ist, was mich an vielen Texten von Sabine Scho stört: sie trauen sich nicht. Durchweg ist von 'man' die Rede, maximal von 'wir' oder 'sie' (auch 'es' steht hoch im Kurs), als ob Unpersönlichkeit ein Kriterium für Allgemeingültigkeit sei. Ich frage mich, ob das Absicht ist und etwas bedeuten soll, ob der Mensch hier als Art gesehen wird, wie die Tiere, eingeordnet in eine Systematik, aber auf die simple Gleichung: Flusspferde = Drogendealer wird es ja wohl nicht hinauslaufen. Dagegen spricht auch der subjektive, sich oft selbst genügende, Ansatz.
Beispielsweise "Das erste Tier", welches aus Sicht der fotografierenden Autorin offenbar das erste Tier ist, was sie abbildend beschreibt.
"Das erste Tier, das kam, wann ich wollte, war ein Kamel, die Oberlippe gespalten."
Jedoch 'wann'? Immer wenn? Als?
Alle Kamele haben 'gespaltene Oberlippen', ist es nicht, als schriebe ich: eine Schildkröte, den Rücken gepanzert?
'Seltsame Früchte, die auf seinem Planeten nicht wuchsen'? (gemeint sind Eicheln). Ich bin mir nicht sicher, Kamele leben schließlich auch in den Laubwäldern Asiens.
Manche Stellen erzeugen ein Gefühl des Misstrauens, was sowohl bei einem gut recherchierten Essay als auch bei einem seine eigene Welt erzeugenden Gedicht nicht möglich wär.
"Es bleibt zudem fraglich, ob Aufbauschen sich überhaupt lohnt" (Flughund)
Wer fragt das? Der Hund sich selbst? Der Mensch, der den Hund betrachtet? Der Mensch als Hund?
"Sie schnappt nach Luft. Wenn man es einmal bei Licht betrachtet, bleibt letztlich bloß Differenz zugunsten der Selektion. Ihre Pupillen waren geweitet. Und das widerspricht dem Hardy Weinberg'schen Gleichgewicht, gesetzt den Fall, dies sei nicht das Ende jeder Progression." (Sanddollar)
Hier wird kurze Zeit Spannung aufgebaut, die dann aber sofort erlischt, durch ein unvermittelt einsetzendes Reflektieren über die Evolution. Und was ist denn bitte sehr eine 'Differenz zugunsten von etwas'? Ist die nicht immer 'zwischen' etwas?
"Old Los Angeles Zoo" - wieder geht es von 'einem' über 'sie' zu 'man', ich weiß nicht so recht, wer gemeint ist. Auf einem Foto das verlassene Lager eines Obdachlosen, der Text berichtet aber mehr von sehr reichen Menschen, natürlich: Amerika, die große Differenz zwischen Arm und Reich, die Anspielung auf den Umzug des Zoos nach Hollywood? 'Mr. Psycho bombed this place' (= Pokemon-Figur, muss ich erst recherchieren, aber warum gerade die?) Sind hier Informationen versteckt, die nur Insider wissen? Bin ich zu ungebildet oder out?
Den Texten würde eine sprachliche und formale Präzision guttun; und wenn sie sich entscheiden würden, zwischen Lyrik und Essay, nicht weil das so nicht sein darf, sondern weil sie zu oft im Ungefähren steckenbleiben, sich mit touristischen Eindrücken genügen, konstruiert wirken und nicht erlebt.
Auch die Fotos hätten mehr Aufmerksamkeit gebraucht, sie gehen im Anhang fast unter, sind viel zu klein und zu dunkel, lassen gerade noch erahnen, wie sie in groß, in Farbe, in s/w wirken, was ich sehr schade finde, weil sie gelungen sind und die Texte bereichern; hier wurde am (falschen) Ende gespart.
'Tiere in Architektur' scheint mir so ein bisschen wie Rohheit in Form gegossen - vielversprechend, nur noch nicht ganz fertig.
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