Die Wärme der Worte in Zeiten der Entfremdung
„Spurensuche“ heißt der erste Lyrikband des 1992 in Istanbul geborenen Şafak Sariçiçek, der laut Klappentext in Heidelberg Jurisprudenz studiert und auch schon ein Jahr in Kopenhagen lebte. Şafak Sariçiçek machte an der Deutschen Schule in Istanbul das Abitur, ist also (so vermute ich) von seiner Biografie her zu jener weltoffenen, europäisch gesinnten Jugend zu rechnen, die mit Brexit und im Falle der Türkei mit dem Prozess der Renationalisierung herben Gegenwind verspüren muss. Seine Gedichte sind Brücken, Brücken über die verstörende und deprimierende Entfremdung zweier befreundeter Länder hinweg, die auf eine nationalistische und in autoritäre Herrschaft abgleitende Politik einer Partei und ihrer Elite zurückzuführen ist.
Nach dem „Report on the human rights situation in South-East Turkey July 2015 to December 2016“ herausgegeben von dem „United Nations Human Rights Office of the High Commissioner“ vom Februar 2017 sind im genannten Zeitraum in den kurdischen Gebieten im Südosten der Türkei 2000 Menschen zu Tode gekommen, 800 Angehörige staatlicher Kräfte und 1200 Zivilisten. Die ansatzweise einmal begonnene Lösung des so genannten „Kurdenproblems“ ist also auf unmenschlichste Art gescheitert. Ganz zu schweigen von der bedrückenden Einschränkung demokratischer Grundrechte in der Türkei. Bei diesen Verhältnissen wirken dann die Nazi-Vorwürfe gegenüber Deutschland eher bizarr, aber doch eher zu vernachlässigen.
Um eine Binsenwahrheit zu bemühen: Literatur wird nicht in elfenbeinernen Türmen geschrieben und rezipiert; die Gedichtzeilen Şafak Sariçiçeks klingen in die nur angerissenen Informationen einer grauen Geschichtslage hinein. Und es ist Şafak Sariçiçek, der seinen Blick auf die geradezu von deutschem Sentiment (und Kitsch) kaum zu trennende Stadt Heidelberg
(…) die stadt liegt
betrunken zu beiden seiten
des neckars
schwarzer wasserleibesfülle (…)
mit anderen Städten zusammenführt, die uns eher beunruhigen:
(…) fragst dich wie viele
(…)
kinderaugen nach oben blicken
in zerbombten städten unweit
euphrat und tigris (…)
Er spart also das alltägliche Grauen nicht aus, sondern schlägt mit seinen oft südliche Wärme evozierenden Bildern Schneisen durch dieses den Menschen auseinander und gegeneinander treibende Grauen. Seine Worte sind viel stärker als das Nazigeblubber aus des Präsidenten Mund. Es ist so wohltuend, wenn ein junger türkischer Lyriker in deutscher Sprache ein Gedicht schreibt, das in wenigen Worten das Ver–rückte der augenblicklichen Lage zu fassen vermag:
König der Narren
Wenn du ihn siehst
so grüße ihn,
sag:
Ich bitte um Rat
um seines Königs Tat
nur er kann diese Welt verstehen
Ein Element einer wünschenswerten europäischen Zukunft wäre, dass einmal eine junge deutschsprachige Lyrikerin oder ein Lyriker existentielle Erfahrungen in türkischer Sprache so gekonnt auszudrücken verstünde, wie es Şafak Sariçiçek auf Deutsch gelingt. Zu einem sein Land wirklich nachhaltig verändernden Ereignis schreibt er das anrührende Gedicht „die nacht vom 15. juli auf den 16. juli, als wir einen krimi sahen und das land verwirrt war“:
am 15. juli schauten wir mit meinem bruder
schneidersitzend auf dem sofa einen dänischen krimiauf dem laptop, um halb elf abends,
nebenher moskitos abwehrend und am schwitzenund gerade als dem kommissar
der widersacher mit einer kugel im arm entwischteklingelte das handy auf dem tisch
und mein bruder nahm ab (stimme unsres vaters) legt auf
dann die nervöse nachfrage, die nervöse
antwort: das militär habe die macht ergriffen, geputscht (…)Der längere Text endet dann mit:
(aber schweiß auf meiner stirn,
ein wenig
im wechsel: ruhe und angst aus ungewissheit.)
Die Texte sind politisch, indem sie in einfacher, klarer Sprache aufzeichnen, was vor sich geht und vor allem welche psychischen Spuren das Geschehen hinterlässt. Sie sind politisch, aber nicht durch einen ideologischen Filter gesehen und deshalb in ihrer schlichten Wahrhaftigkeit anrührend und überzeugend. Die Wahrhaftigkeit findet sich auch im höchst Privaten, in dem Gedicht über einen Brief (mein Lieblingsgedicht in diesem Band, da ich einmal jung war), den wohl eine geliebte Frau schrieb, um sich von dem Adressaten zu trennen „du hast mir einen brief geschrieben“. Es gibt keinen Vorwurf an die Schreiberin, insofern ist wiederum Şafak Sariçiçeks dezente Zurückhaltung zu spüren, dennoch gibt der Text seine Empörung, seine Wut und seine Verletztheit wieder:
du hast mir einen brief geschrieben
in einem kuvert
mit der schreibmaschine
ein!
ge!
tippt!als du nicht gekommen bist, da hab ich:
da hab ich ihnverbrannt
neben dem sofa am hintereingang
des wohnheimsdem sofa mit dem loch
aus dem schaum-stoff quillt wie terracottafarbene wunden
der hügel, zu Beginn eines autobahnbaus
(und jedes zwischen uns gefallene
wort
ist
auch
eine
terracottawunde
im hügel gewesen
eine baustelle
von den arbeitern verlassen
findest du nicht?)
(…)
Ein Quentchen Kritik gibt es aber bei allem Lob: Bisweilen begegnet eine leichte sprachliche Unsicherheit oder sollte man es Fehler nennen? So in dem Gedicht „Buddha Statue“, dessen erste Zeilen lauten:
Tausender lachend Falten
Lächelnd dich umarmt.
Die grammatischen Bezüge sind unklar: Sollte es heißen „Tausender lachende Falten (…)“, aber dann lässt sich die zweite Zeile nicht anschließen. Oder gar „Tausend lachende Falten / Lächelnd dich umarmen? Und Moskitos verbinde ich eher mit tropischen Gefilden, hierzulande handelt es sich um die ungefährlicheren „Stechmücken“ oder (schlimmer) „Bremsen“. Wie auch immer, solche Dinge sind angesichts der weit gespannten sprachlichen Brücke, die ja so schön trägt, nur marginal.
Das hier nicht übernommene Layout von Ümit Kuzolok ist anregend und verträgt sich gut mit den Texten, die Illustrationen von Sven Kalb treffen nicht so ganz meinen Geschmack, einige sind aber durchaus gelungen, z. B. der Kopf auf S. 32 oder das Doppelbild auf S. 45.
Das Buch ist insgesamt eine sehr gelungene Arbeit und verdient viele Leserinnen und Leser.
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