Literarische Webcam?
Mistwoch, der 13. Zebra in Tee, und die Hausherrin, die sich gestern noch um einige Akwareller gekümmert hat, weigert sich, einen ihr widrigen Rohmahn zur Kenntnis zu nehmen. Manchmal ist sie ja ziemlich kapores, besonders nach einer Läsung, aber wenn dann im Mandril warm der Sunn scheint, kann sie wieder durch die Botanik spazoren zu den Azoren. Alles klar? Langjährige Eingeweihte in die geistige und räumliche Welt der Sarah Kirsch werden über die eigenwillige Privatsprache der Autorin nicht mehr stolpern; für Neulinge (aber mit solchen rechnet das Buch offenbar nicht) ist da manches gewöhnungs- oder erklärungsbedürftig. Tee etwa steht wohl für T., und dieses wiederum ist die Abkürzung für den inzwischen berühmten ländlichen Wohnsitz Tielenhemme an der Eider in Schleswig-Holstein. Zebra ist wie in Morgensterns Galgenkind-Monatsnamen der Februar. Aha.
Wir dürfen die Autorin für ein knappes Jahr, vom 10.12.2001 bis zum 22.9.2002 begleiten und erfahren in bunter Mischung von Tätigkeiten und Ereignissen, Beobachtungen und Gedanken. Die Heizung, die Post, das Essen, die Katzen, die Gartenarbeit, Putzen, Stricken, Spaziergänge, Besuch, Anrufe, Träume, Erinnerungen, Fernsehfilme, politische Nachrichten von damals, Lektüre, Bemerkungen über Kollegen, und immer wieder: das Wetter. In solcher Aufzählung klingt das langweilig und uninteressant; das ist aber nicht der Fall. Die gedrungene, zupackende Sprache, ein grummelndes Selbstgespräch mit mutwillig verdrehten Wörtern, berlinernden Einwürfen und kindlich-schnodderigen Berichten ist keineswegs kunstlos, auch wenn der Tonfall mit der Zeit ansteckend wirkt und man meint, man könne es auch. Die jeweils datierten Eintragungen, unterbrochen von insgesamt 10 eigenen Gedichten, umfassen selten mehr als eine Seite, überwiegend sind sie nur wenige Zeilen kurz.
Schon seit Jahren lässt uns Sarah Kirsch mit dieser Art literarischer Webcam an ihrem Alltag teilnehmen, allerdings nicht genau in chronologischer Reihenfolge. Da gab es zuletzt „Krähengeschwätz“ (2010), davor Sommerhütchen“ (2008), „Regenkatze“ (2007, betreffend die Jahre 2003/04) und weitere Titel. In meiner Sarah-Kirsch-Akte fand sich die Besprechung von „Allerlei-Rauh“ durch Wulf Segebrecht aus dem Jahr 1988 (!), aus der man ganze Passagen auf den vorliegenden neuen Band anwenden könnte. Bemerkenswert: er konstatiert schon damals, „dass die Poesie der Sarah Kirsch ihren Charme und ihre Wirkungskraft zu einem nicht geringen Teil dem Wiedererkennungseffekt verdankt.“
Die Frage ist nun: lohnt sich dieses Buch auch für den Käufer und Leser, der (noch) nicht zur treuen Fangemeinde der Autorin gehört (und sich deshalb mit amüsiertem oder gerührtem Nicken wieder in Tielenhemme einfindet)?
Wir lernen eine Frau kennen, die ihren Platz gefunden hat und sich und anderen nichts mehr beweisen muss. In ihren Berichten scheint bei aller Abgeklärtheit und derben Kurzangebundenheit doch immer wieder die kindliche Begeisterungsfähigkeit durch. Wir sehen mit Staunen, wie jemand, der viel erlebt und geleistet hat, sich ausdrücklich in einer abgeschiedenen Gegend wohlfühlt und aus ihr unerschöpfliche neue Wahrnehmungen empfängt. Sie hat den Literaturbetrieb satt, auch wenn sie hin und wieder daran teilnimmt. Über die Gruppenlesung eines österreichischen Autorenverbands heißt es: Diese Dichter sind unausstehlich, ich will hier weg! (…) Also ein Dichtertreffen brauch in diesem Leben nicht mehr, auch nicht gegen hohe Bezahlung.
Was tut sie denn den ganzen Tag, da sie wohl nicht repräsentieren mag? Tut viel spazoren zu den Azoren... Es könnte nach müßigem Herumhängen aussehen, aber das täuscht. Wenn diese fleißige Frau, die inzwischen fast unzählig zu nennende Lyrik- und Prosabände geliefert hat und auch Aquarelle malt, sich an die Arbeit begibt, macht sie nichts davon her. Das klingt dann so: Heut organisier ich mir einen gemütlichen Posttag. Und ein paar zierliche Texter fallen vielleicht ooch ab.(...) War bis zum Nachmittag an mein Laptop. Ging mir allet flott von den Pfoten. Ich bin um 21 Uhr wieder spaziert.(...) Habe den ganzen Tag über meinen Papieren gehockt unter Vogelgesängen und Blütenschnee.
Nichts liegt der Büchnerpreis-Trägerin (samt vielen anderen Preisen) ferner als mit öffentlichen Auftritten und Verlautbarungen die Kulturträgerin zu geben. Das ist sympathisch, wenn auch etliche knurrige Seitenhiebe auf Schriftstellerkollegen etwas autoritär und wenig begründet daherkommen. Man kann hier lernen, wie sich jemand unprätentiös, aber selbstbewusst als Künstlerin hinstellt und sagt: so bin ich.
Allerdings muss ich gestehen, dass mich persönlich die putzigen Sprachspielchen auf die Länge doch etwas nerven. Man muss ja bedenken, dass zum Beispiel die verschiedenen Benennungen für „Montag“, nämlich Montag, Mohntag, Mohn-Tag, Mohntach, Montauk nicht in gemütlich-alberner Tischrunde gesprochen, sondern sorgfältig geschrieben, gesetzt und gedruckt werden mussten, um dann im Buch für immer so dazustehen. Habe ick mir den Klappentext rinjezogen, wo es heißt: Witz und Ironie. Nee, nee, Witz und Ironie is det eher nich. Mehr so'n kumpeliger Familien-Sprech will ich mal sagen... Etwas für Schulhofmädchen, die über ihre Wortverdrehungen endlos kichern können. Vielleicht aber auch eine gewisse Schutzhülle vor dem wirklich privaten Innersten.
Nun noch zum Wetter, und das ist natürlich nicht einfach Wetterbericht. Es ist hochempfindliche, begeisterte, liebende Wahrnehmung aller Nuancen von Landschaft, Luft, Himmel und Erde samt allem was da kreucht und fleucht. Ab und zu bekommen wir mit wenigen sicheren Strichen etwas davon mitgeteilt:
Hellblau-grau marmorierter Himmel. Dieses zu haben ist wunderbar! … Schönstes Himmelstheater! Schräges Licht, Scheinwerfer in silbergraue Wolkenrollos. Heute ein zärtlich verschwimmender Horizont.(...) Grünes Land mit den aufgestellten Kühen darüber violettschwarze Wolken. Herr Nolde hätte an allem seine Freude gehabt. Er hat sich seine irren Farben nicht ausgedacht, hier gibt es das alles.
Im Grunde liegt hier der Hauptzugang zu der Dichterin und ihrem Werk, um dessentwillen überhaupt ein solches Tagebuch interessieren kann. Interessant sind alle Menschen, aber in diesem Buch erwarten wir zusätzliche Informationen über Sarah Kirsch, weil ihre Gedichte uns überzeugen. Dass ich mich dann doch lieber von Gedichten als von Tagebuch-Texten überzeugen lassen möchte, merke ich an meiner Reaktion auf die meist halbleeren Seiten: Wenn ein dreizeiliges Gedicht allein auf einem Blatt steht – okay, das ist angemessen. Bei einem Tageseintrag von zweieinhalb Zeilen denke ich insgeheim: schade for det schöne Papier.
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