Schlaglichter
Der Berenberg Verlag hat in diesem Jahr ein Lyrikprogramm gestartet. Die Begründung dafür ist brisant: Ein angelsächsischer Verleger hat mal gesagt, ein Verlag, in dem noch nie Gedichte veröffentlicht wurden, sei eigentlich gar keiner. Den Berenberg Verlag gibt es nun schon seit fast acht Jahren. Damit er endlich auch als Verlag bezeichnet werden kann, erscheinen bei uns im Herbst zum ersten Mal zwei Bände mit Gedichten, so Heinrich von Berenberg.
Folgt man diesem Gedanken, reduziert sich die Anzahl ernster Verlage beträchtlich, aber ich folge diesem Gedanken gern. In der schön gestalteten neuen Reihe erschienen in diesem Jahr bislang Jeffrey Yangs Ein Aquarium, worüber Jürgen Brôcan auf dieser Seite bereits geschrieben hat, und eben Sergio Raimondis Für ein kommentiertes Wörterbuch.
Sergio Raimondi wurde 1968 in Bahia Blanca in Argentinien geboren und unterrichtet Zeitgenössische Literatur an der Universidad del Sur. Wie schon bei einem anderen Argentinier (Fabián Casas, der ebenfalls von Timo Berger ins Deutsche übersetzt wurde) machte ich bei Raimondi eine eigentümliche Erfahrung. Ich stellte bei der Lektüre eine merkwürdige gedankliche Nähe fest, obwohl der Autor ja geradezu von der anderen Seite der Welt kommt. Vielleicht steckt dahinter eine gewisse Diktaturerfahrung. Ganz sicher ist es aber ein Ausdruck des Prozesses der Globalisierung. Man sollte dem nachgehen.
© Timo Berger Quelle: Berenberg Verlag Berlin
Ich habe so etwas wie Raimondis Gedichte lange nicht gelesen. Gedichte, die ökonomische und historische Prozesse und die damit verbundenen sozialen Verwerfungen zum Gegenstand ihrer Betrachtung machen. Darüber hinaus verleugnen sie nicht, dass sie von der Lektüre des Marxschen Hauptwerkes „Das Kapital“ zumindest inspiriert wurden. Dabei wirken die Texte an keiner Stelle altertümelnd, also nicht so, als hätte man sie aus einem fleckigen stalinistischen Hut gezaubert.
Sie stellen sich nämlich nicht auf die Seite und betrauern das Proletariat, das in einem verlustreichen Kampf mit der Natur den gesellschaftlichen Reichtum schafft und zur Befreiung einer politischen Führungskraft harrt. Vielmehr geht es hier um Transformation. Die Transformation der Natur und den Blick auf das, was die industrialisierte Welt von ihr übrig lässt. Eine Kulisse.
Ringsum ist Verwertung. Die Sprache als Substrat bemächtigt sich in diesen Gedichten ihrer priveligierten Stellung als Reflexionsmittel und wirft damit ihr eigenes Schlaglicht. Sie borgt sich nur für einen Moment das natürliche Leuchten, um es in Klärung und Klarheit zu überführen. Denn die Texte sind selbstreflexiv, sich ihrer Positionen bewusst und dabei auf der Suche nach der Ebene des Textes im politischen Prozess. Brecht und Neruda finden sich rezipiert, überwunden und aufgehoben.
Um ein Urteil über diesen Vers zu fällen, ob etwa seine
Länge berechtigt ist oder der sich durch den Wechsel
von Silben, Pausen, Wortakzenten ergebende Rhythmus
muss man die Bewegung der Laufkatze des Portalkrans
über der Betonplatte des kürzlich eröffneten Piers
studieren, doch auch die ewigen Gattungsgesetze, die
sich von der Kritik der weltläufigen Dichtkunst ableiten.
Und wenn sich in der Marxschen Ausführung zum Fetischcharakter der Ware beispielsweise ein Tisch scheinbar in einen lebenden Gegenstand verwandelt, der allerlei Schabernack treibt, so ist in den Texten Raimondis die ganze Welt von derlei hüpfenden Waren bevölkert. Nationalökonomisch ausgedrückt: Der Kapitalismus hat alles in Kapital verwandelt, der Ursprung der Dinge begegnet uns nurmehr noch als Spur oder Label.
Aber um keinen Irrtum aufkommen zu lassen: Raimondis Gedichte sind keine trauernden Abgesänge auf eine versunkene Ursprünglichkeit und auch keine Aufrufe zum bewaffneten Kampf gegen die Ausbeuterklasse. Sie sind lakonische Analysen, beeindruckend in ihrem Fokus. Und dabei sind sie amüsant, wenn dieses Wort so verstanden wird, dass es die tiefe Ernsthaftigkeit der Texte nicht aushebelt.
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