Schiefe Metaphern vor grünem Hintergrund
Der mit 20.000 € am höchsten dotierte Lyrikpreis im deutschsprachigen Raum, der Hölty-Preis, geht dieses Jahr an Silke Scheuermann. Sie erhält den Preis für ihr bisheriges lyrisches Werk und „für ihr herausragendes Gedichtbuch 'Skizze vom Gras', das die Fundamente unserer Existenz erkundet“, wie es in der Begründung der Jury heißt.
Bereits 2001 wurde Silke Scheuermann mit dem Leonce und Lena-Preis ausgezeichnet und erntete reichlich Lob für ihren Debütband Der Tag, an dem die Möwen zweistimmig sangen. Darin überzeugte sie nicht nur durch ellenlange und einfallsreiche Gedichttitel, sondern auch einem lakonisch-gewitzten Durchdeklinieren von Liebesthemen. Das Requiem für einen gerade erst eroberten Planeten mit intensiver Strahlung könnte man sehr wohl als einen der gelungensten und schönsten Texte über ein Beziehungsende in der Gegenwartslyrik bezeichnen. Weniger überzeugend waren dann aber die Nachfolgebände der recht bald als Fräulein-Wunder gehypten Jungschriftstellerin. Schon der 2004 erschienene Band Der zärtlichtste Punkt im All wurde von der Kritik gespalten aufgenommen. Die einen lobten den Ideenreichtum und die Unerschrockenheit, mit der die Autorin Gefühlsthemen aufgreife, „Professionelles-Poetry-Posing“ (TAZ) wurde ihr andererseits vorgeworfen. Den Gedichten fehle die lyrische Diktion, sie seien zu kunstbemüht, zu gewollt. Zusammenfassend ergibt sich der Eindruck, dass Silke Scheuermann sehr wohl immer wieder den Nerv der Zeit trifft, sich dabei aber manches Mal im Ton vergreift.
Mit der Skizze vom Gras legt Silke Scheuermann nun bei Schöffling & Co ihren vierten Gedichtband vor, der sich – wie der Titel schon andeutet – ganz ökologischen und erdgeschichtlichen Themen verschrieben hat. Längst ausgestorbene, sowie vom Menschen ausgerottete Tierarten wie der Säbelzahntiger oder die Wandertaube Martha finden darin ebenso ihren Platz, wie düstere Zukunftsszenarien, in denen es Wiesen nur noch als Reproduktionen an Zimmerwänden gibt und das Ministerium für Pflanzen abgeschafft wurde, da die Erde nicht mehr genug Arten beherbergte, für die/ der Aufwand sich gelohnt hätte.
Ein ganzes Kapitel ist den Blumen gewidmet. Tulpe, Brennnessel und Efeu kommen darin zu Wort und schildern dem Leser ihre Sicht der Dinge. Die Pflanzen mahnen; sie geben Ratschläge mit auf den Weg: Doch erst, wenn ihr aufhört, das Ende/ zu denken, seid ihr geheilt, resümiert z.B. der Efeu.
Etwas zusammenhanglos und unvermittelt steht mitten im Band plötzlich ein Kapitel, das sich der Figuren aus der Commedia dell‘ arte annimmt. Gedichte, die Harlekin, Colombine und Ballerina charakterisieren. Und doch ist dieses Kapitel das mit Abstand gelungenste im Band. Die feinen, abgerundeten kleinen Porträts sind klug, gewitzt und zart. Der poetische Ton, der an anderen Stellen zu schrill, zu pathetisch-gewichtig, zu sehr auf Teufel-komm-raus poetisierend daherkommt, hier ist er ausgeglichen und passend. Hatte man ansonsten das Gefühl die Poesie wird einem mit der Brechstange in den Kopf geklopft, so bietet die italienische Personnage in diesem Kapitel Raum für verträumte Stillleben:
Die Küche ist ordentlich. Es ist
die Ordnung der heimlichen
Melancholiker. Das heißt Neben
dem toten Kaninchen liegen Messer
in drei Größen, Gabeln, Löffel,
zerquetschte Johannisbeeren,
bluten noch. Schau nicht hin.Du kannst dir ein Stück
von dem Brotmann abbrechen.
Er hat keinen Namen,
schläft nachts ziemlich fest,
ein bequem ausgestreckter Körper.
Und weich! Fass mal die Fußsohlen an.
Diese schöne Ausgewogenheit misst man an anderen Stellen leider schmerzlich. Schon das erste Gedicht Die Ausgestorbenen hebt mit einem versuchten, aber leider ganz in Schieflage geratenen hohen poetischen Ton an, der in Versen gipfelt wie:
In meinem Brustkorb funkelt mein Herz wie ein versteckter
Kressesamen, ein Blättchen Löwenzahn.
Man fragt sich: Seit wann funkeln Kressesamen? Wie kann ein versteckter Kressesamen funkeln? Wie kann das lyrische Ich das Funkeln eines im Körper eingeschlossenen Organs sehen? Und was jetzt eigentlich: Wie ein Kressesamen oder wie ein Blättchen Löwenzahn? Bei Letzterem würde es wenigstens gelb leuchten und somit noch einigermaßen hingehen.
Es ist ja gut möglich, dass die schiefe Metapher ein Stilmittel in diesem Band ist, und zu der ebenfalls von der Hölty-Preis-Jury gelobten Ironie gehört. Dennoch wirken die verwendeten Bilder oftmals zu gesucht, zu ungebrochen, um sich selbst auf den Arm zu nehmen. Eher noch drohen diese Bilder zuweilen unter dem Gewicht ihrer überelaborierten Konstruktionen zusammenzubrechen:
Erst der Winter würde das Geschehen in Tränen auflösen,
individuelle Wege die Wange hinunter gleiten lassen; sie einfrieren.
Erstaunlich, was der Winter hier alles vermag. (Galanter wäre es gewesen: Erst mit dem Winter würde sich das Geschehen in Tränen auflösen. Aber selbst dann bleibt die Frage, wie sich ein Geschehen, etwas, das sich ereignet, in Tränen auflösen kann?). Dass der Winter dann auch noch sowohl Tränen fließen lassen, als auch einfrieren lassen kann ist dann doch etwas zu viel des Guten.
Anderenorts wiederum wirken die Metaphern einfach zu wuchtig, hingeklotzt und nicht gekleckert:
Mein Körper ist kalt geworden wie der Zahn einer Löwin.
(Auch ganz abgesehen davon, dass mit Verlaub, kein (lebendes) Säugetier kalte Zähne hat.)
Silke Scheuermann hat keine Berührungsängste, wenn es um die großen Gefühle geht und noch weniger, was die großen Begriffe anbelangt: Freiheit, Leben, Liebe, Wahrheit, Gott; das alles passt fast in einem Atemzug und in einen Pott. Mitunter erscheint es, als werden hier die existenziellen Fragen wie leicht lösbare Schulaufgaben abgehandelt. Das Gewichtige en passant in einfache Gleichungen überführt, wo es dann auch leider seicht versandet:
Das ist das Leben:
ein Albtraum, gegründet auf diese Wahrheit:
dass die Toten allzu langsam
in den Lebenden sterben.
Hier scheint alles schon verstanden. Das Mysterium der menschlichen Existenz so aufregend und vielschichtig wie die Backanleitung für einen Hefezopf.
Andernorts wiederum ist es der Pathos, der einem sauer aufstößt:
Ich bin vermutlich die letzte meiner Art,
die letzte Liebende;
um mich herum nur deine Abwesenheit
und die Möglichkeit Internet.
Irgendwie meint man einige der nicht ganz klischeefreien Bilder schon hundert Mal gelesen zu haben:
Dort sind alle Menschen
verlassene Hunde,
sie bellen die Dunkelheit an
Und ganz für sich selbst mögen die nachfolgenden beiden Verse sprechen:
als hinge dir der Schlüssel
zum Paradies zwischen den Läufen.
Bleiben wir beim soeben erwähnten Paradies und werfen ein Auge auf die metaphysischen Bezugspunkte. Denn Gott, und hier wird es kurzzeitig spannend, Gott ist in diesem Band die Rechtfertigung dafür, dass wir selbst gottgleich handeln dürfen. Im Kapitel Zweite Schöpfung, das sich durchaus auch als poetologische Reflexion lesen lässt, wird eine metaphysische Begründung pro Gentechnik versucht:
Dies ist
die Freiheit der Liebe: neue Wesen zu schaffen,
sie uns zur Seite zu stellen. Dies ist die Freiheit
unserer Art, neue, andere Arten zu machen.
Gott hat uns mit einem Bausatz beschenkt.
Hier wird der adamische Schöpfungsbefehl sich die Erde Untertan zu machen, den Tieren Namen zu geben usw. erweitert zu einem Aufruf durch den Schöpfer an seine Schöpfung, es ihm doch gleich zu tun, mit der simplen Begründung, wenn er uns die Möglichkeit dazu gegeben hat, will er auch, dass wir sie nutzen. Die Verantwortung wird zurückadressiert an den Schöpfer auf erster Ebene, dem Schöpfer auf zweiter Ebene ein Freibrief zum unbekümmerten Werkeln ausgestellt. So einfach ist das. Und schon kann das lyrische Ich dem Dodo im gleichnamigen Gedicht versprechen:
Dodo, du wirst wiedergeboren wie am Tag
das Sonnenlicht. Ich verspreche es dir:
Du wirst unter den ersten sein, die wir machen.
Das ist schade und verschenkt, denn hier schrumpft einer der brennendsten Diskurse unsere Tage – man erinnere sich an den noch nicht allzu weit zurückliegenden Eklat für den Sibylle Lewitscharoff mit ihrer Äußerung zu den „Halbwesen“ gesorgt hatte – auf Sandkastengröße zusammen. Eine putzige Maoam-Metaphysik möchte man das nennen. Dieses Ethik-Pamphlet pro Gentechnik muss umso befremdlicher wirken, da sich der Band andererseits fast schon nostalgisch mit Flora und Fauna beschäftigt, einen Abgesang auf unseren grünen Planeten und die ausgestorbenen Arten feiert. Den Blumen ist ein ganzes Kapitel gewidmet hat, und im Langgedicht Skizze vom Gras, wie auch im Eingangsgedicht Die Ausgestorbenen Öko-Kritik geübt wird. (Ob Öko-Lyrik die neue Naturlyrik ist, muss leider an anderer Stelle erörtert werden.) In beiden soeben erwähnten Gedichten wird eine Dystopie gezeichnet. Eine Welt, in der die Pflanzen und Wiesen ausgestorben sind, verdrängt von Fabriken und Industrieparks. Eine Welt, in der der Mensch sich tief im Gestrüpp von Schuld verstrickt hat, ob all der Plastiktüten und Alufolien, die er hat herumliegen lassen. Macht aber letztlich nichts, denn: Jeder Halm wird früher oder später/ umgetreten und erhebt sich wieder. Und: Hoffnung erstreckt sich ins Horizontale.
Ihr poetischer Kosmos sei, so begründet die Hölty-Preis-Jury, „kein märchenhaftes Traumreich, sondern ein lebensgefährliches, von den Schrecken unserer Gegenwart aufgewühltes Gelände“. Nach dem Lesen des Bandes verfestigt sich aber genau der gegenteilige Eindruck. Man macht sie danach weniger Sorgen um unsere Umwelt, als um unsere gegenwärtige Lyrikpreis-Vergabe-Landschaft.
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