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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
Kritik

„Mein Herz knistert auf Papier“

Simone Trieder hat einen wunderbar leichten und tiefgründigen Jugendroman geschrieben
Hamburg

"& ich langweile mich entsetzlich. – Ich habe meinen Bauchnabel angesehen. Da sind so kleine Schmutzröllchen drin, habt ihr sowas auch oder bin ich unsauber. Wie kriegt man denn die raus?!“

Spirelli, Manon und Tiätsch (Maria) sind sechzehn, und sie sind nicht auf den Kopf gefallen, auch nicht auf die Hände, denn sie kommen auf die Idee, als Spirelli nicht nur Hausarrest, sondern auch Internet- und Handyverbot hat, ein SMS-Tagebuch zu führen, richtig mit dem Stift auf Papier, um der Eingesperrten in ihrer Isolation beizustehen. Auch nach dem Ende der Strafaktion führen sie ihr Buch weiter, denn sie haben Gefallen daran gefunden, sich auf diese Weise ihre allergeheimsten oder auch allerlächerlichsten Gedanken mitzuteilen, ja sie wollen einander auch vom „ersten Mal“ erzählen

Simone Trieder hat beim Theater gearbeitet - das prägt ihr Schreiben. Ihre Sprache ist Sprechsprache, nah dran am ewig plappernden, sinnierenden Menschen. Sie hat auch als Journalistin gearbeitet. Sie recherchiert. Und so ist sie auf die Idee gekommen, für ihre Arbeit an dem Libretto der Kantate „Barcode Zukunft“ (Musik: Kurt Bikkernbergs, Belgien) den Mädchen zwischen dreizehn und achtzehn Jahren, die im Chor mitsangen, Fragen über ihr Leben, ihre Träume, über den Tod zu stellen.

Das waren viele offene Antworten – zu viele für einzig ein Libretto, fand Trieder, und schrieb einen Briefroman, genauer einen Geometrieheft-Trialog, den die drei Freundinnen, Musik begeisterte Chormitglieder übrigens, miteinander ein halbes Jahr lang führen werden, eine Zeit, in der viel geschehen wird. Sie werden gegen ihre Eltern aufbegehren, mal laut, mal leise, sie werden das erste oder fast-erste-Mal hinter sich bringen (toll, wie Trieder das geschrieben hat, genau die richtige Anzahl von Wörtern und genau die richtigen), sie werden sich selbstgeschriebene Songtexte anvertrauen, sie werden sich verlieben und entlieben, Tiätsch wird ihren Erzeuger kennen lernen, Manon über ihre eigene Moral stolpern und  Spirelli einen schrecklichen Verlust erleben. 

Einfühlsam und lebendig erzählt die Autorin von einer Zeit, in der die Pubertät vorbei ist und die Mädchen die ersten Schritte in die Welt des Erwachsenseins machen. Trieder nimmt ihre Figuren ernst – und ihre künftigen Leser(innen). Denn sechzehn Jahre alt zu sein, ist nicht einfach. Einerseits ist man noch unter der Obhut der Eltern, von denen die meisten Schwierigkeiten mit dieser Entwicklungsphase ihrer Kinder haben, eben weil die massiv keine mehr sein wollen. Andererseits beginnt man Schrittchen für Schrittchen sein Leben selbst zu bestimmen. Wichtiger als die Familie, die hat man sich schließlich nicht selbst ausgesucht, sind jetzt die Freunde. Trieder singt das Hohelied der guten Freundschaft. Die gute Freundschaft ist nicht ideal, es gibt Krach, es gibt Frustration und Zorn, es gibt das Missverstehen und das Missverstandenwerden. Es gibt das Verzeihen, das aufeinander Zugehen, die Solidarität und den Trost, weil man fühlt, das die anderen einen wirklich sehen und man sein Leid mitteilen und teilen kann. (Ach, die alten Sprichwörter sind wahr.) Die Autorin schreibt darüber, mal komisch, mal tieftraurig, in dem sie die Mädchen schwatzen, schwadronieren und philosophieren lässt, schwärmen, zürnen, deprimiert und unglücklich sein. Ihr Ton ist sehr nahe am O-Ton. Sie hat drei ganz eigene Charaktere geschaffen, von denen man am Ende des Romans die Überzeugung gewinnt, dass sie, jede auf ihre Weise, selbstbewusst, sensibel, intelligent, ihr Leben (nicht das ihrer Eltern) meistern werden, weil die gute Freundschaft eine Schule fürs Leben ist. Dieses Büchlein ist absolut zu empfehlen für jedes Mädchen ab dreizehn, das mehr im Kopf hat, als Germanys next topmodel.
 

Simone Trieder
Mein Herz knistert auf Papier
Planet Girl
2012 · 144 Seiten · 8,95 Euro
ISBN:
978-3-522502900

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