Das gleißende Werk
Im 17. Jahrhundert war die Schriftstellerin und Gelehrte Margaret Cavendish eine der wenigen Frauen, die ihre Bücher ohne Pseudonym veröffentlichten. Den Titel ihrer Utopie „Die gleißende Welt“ hat Siri Hustvedt entliehen für ihren Roman über eine talentierte, aber unterschätzte Künstlerin, die ihr Werk unter dem Namen männlicher Künstler ausstellt.
Harriet Burden, genannt Harry, ist groß, laut und zitiert routiniert Kierkegaard, Bachtin und Hegel. Bei den meisten Menschen löst sie mit ihrer intellektuellen Inbrunst Befremdung aus. Sie fühlt sich als Frau und Künstlerin missverstanden und unterschätzt: Ihr Vater hat ihr keinerlei Liebe gezeigt, ihr Ehemann führte zahlreiche Affären und die New Yorker Kunstszene betrachtete sie lediglich als Gattin eines einflussreichen Galeristen. Dass ihre Arbeiten nur mäßigen Erfolg hatten und ihr die größere Anerkennung versagt blieb, attestiert sie aber vor allem ihrem Geschlecht.
Schließlich ist es kein Geheimnis, dass Galerien Werke von Frauen seltener ausstellen und diese deutlich günstiger gehandelt werden. Frauen haben es schwerer, in der Kunstszene Fuß zu fassen. „Alle intellektuellen und künstlerischen Unterfangen, sogar Witze, ironische Bemerkungen und Parodien schneiden in der Meinung der Menge besser ab, wenn die Menge weiß, dass sie hinter dem großen Werk oder dem großen Schwindel einen Schwanz und ein paar Eier ausmachen kann“, so formuliert es die Protagonistin. Nach langem Grübeln und Grämen beauftragt sie drei Männer, damit diese Burdens Arbeiten als ihre eigenen ausstellen. Sie hofft nicht nur, dass die Werke besser aufgenommen werden. Ihr Vorhaben ist größer: Sie möchte die Frauenfeindlichkeit des Kunstmarktes entlarven, mehr noch, den Einfluss unbewusster Vorurteile sichtbar machen, die in der Wahrnehmung der Kunst regieren.
Die Ausstellungen sind allesamt ein Erfolg. Doch bevor Harriet dazu kommt, sich feierlich als die Urheberin ihrer Werke zu outen, übertrumpft einer der Künstler sie in dem Spiel mit den Masken und weigert sich, sich als Strohmann zu offenbaren.
Der Roman zeichnet collagenartig Burdens waghalsiges Spiel anhand ihrer Tagebücher, den Berichten ihres Liebhabers, ihrer Tochter und der Künstler hinter den Masken sowie Ausstellungskritiken, wissenschaftlicher Artikel und Interviews. Meisterhaft beherrscht Hustvedt das Spiel mit verschiedenen, teils konkurrierenden Perspektiven, sodass man sich bis zum Ende nicht vollständig sicher sein kann, was wahr ist und was nicht.
Geschlecht, Alter, ethnische Zugehörigkeit – das alles bestimmt oft unsere Rezeption eines Werks, meistens jedoch bleibt diese unergründlich. Wer kann schon genau sagen, ob und inwiefern wir „Schuld und Sühne“ anders empfunden hätten, wäre der Urheber eine Frau gewesen? Siri Hustvedt kennt sich bestens aus auf dem Gebiet, nicht zuletzt weil sie selbst lange Zeit vorwiegend als die Frau des bekannten Autors Paul Auster gehandelt wurde. Doch das polyphone Kunststück, das Hustvedt mühelos vollführt, ist nicht das eigentlich Interessante am Roman. Auch die zahlreichen Fußnoten, Verweise und Zitate, die sich wie ein bedeutungsschweres Netz um die Handlung spannen, sind trotz ihres Übermaßes eigentlich nebensächlich. Kommt man sich gelegentlich vor, als würde man ein wissenschaftliches Traktat lesen, sollte man es mit Nabokov halten und die Anspielungen mutig ignorieren, wie er es seinen Studenten bei der Ulysses-Lektüre empfahl. Diesen Roman kann man nämlich auch ganz altmodisch mit Vergnügen lesen: an der unvergesslichen Hauptfigur, der messerscharfen Beschreibung der Charaktere und vor allem an der Geschichte an sich, die wunderbare Wendungen bereithält.
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