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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
Kritik

Klang und Bedeutung

Mit Venice singt hat die 1980 geborene Sonja vom Brocke ihr lyrisches Debüt vorgelegt.
Hamburg

Zehn Zyklen und Kleinstzyklen bilden eine Struktur, gleichzeitig bilden sie in Stufen die Vielfalt semantischer Möglichkeiten am Rande der Sprache ab.

Es ist ein Buch, für das man sich Zeit nehmen muss, das sich nicht auf dem ersten Blick erschließt.

In den Ampelphasen verhakt sich ein Rhythmus.Blumen-, Lichtarrangements: Versuche absichtsloser Gestalt. Es werden darüber Natur Lady Gaga, Gummimuscheln, in denen Venice singt: pump.

Sprache wird niemals zum reinen Geräusch, andernfalls hört sie auf, Sprache zu sein. Die Semantik hängt ihr an, ist sozusagen ihr Kainsmal. Und dieses Mal wird umso sichtbarer, je mehr die Sprache es verleugnet. Vom Brockes beste Gedichte arbeiten auf diesem semantischen Rand, sind stets davor, sich in die Verleugnung zu stürzen, aber eben nur kurz davor, denn würde diese Verleugnung gelingen, wären die Texte verschwunden, nicht in, sondern mit ihrer Sprache. Dieser Rand aber ist ein schmaler Grat, das Siel darauf ist risikoreich, kann schnell ins Misslingen kippen. Dessen, so scheint es, ist sich vom Brocke bewusst.

Am deutlichsten scheint dieses Wissen in Zyklus Kameen auf.

Kameen sind kleine Reliefs, die aus einem Schmuckstein oder einer Muschelschale hergestellt sind, wobei sich aufgrund unterschiedlicher Tönungen (Farbschichten) des Materials der erhöhte Teil meist heller vom tieferen Teil der Gravur abhebt. In vom Brockes Gedichten werden daraus minimalistische Sprachgebilde, wobei die Semantik, oder das was sie trägt, als Bedeutungsrest eine Struktur bilden. Als Einschluss geben sie aber auch politische Strukturen frei.

Die gegenwärtigen Hunde
im O – der Fibel, der Duft-
kladee, o.
Rufen sie Lauthals
nach Freihälsen.

In dieser Form der Reduktion gelingen der Dichterin verstörend schöne Momente.

Überhaupt scheint Verwunderung und Verstörung so etwas wie der Grundantrieb der lyrischen Produktion vom Brockes zu sein. Und auch ihre Nähe zur bildenden Kunst.

Im Zyklus Gemäldegalerie zum Beispiel nimmt sie das in anderen Texten tastende der Spracharbeit zurück zugunsten des Beschriebenen, dessen Tasten wiederum auf die Beschreibung und sein Subjekt zurückwirkt.

Aber vielleicht sind es nicht sie, die in die (durch die) Jahre kommen. Vielleicht bin ich es, die sich an ihnen vergeht, wie leblos, die sich einklinkt, um eine Seele zu finden?

Dieses „Vielleicht“ drückt auch eine Vorsicht aus, die den ganzen Band durchzieht. Diese Vorsicht bedeutet jedoch nicht, dass die Autorin auf Verwegenheit verzichtet. Behutsam mischt sie Bedeutungsebenen und verwegen zersetzt sie begriffliche Grenzen. Diese Kombination mag paradox klingen, entwickelt in den Texten aber einen ganz eigenen erkenntnisfördernden Reiz.

Die Autorin ist an der Kollaboration mit bildenden Künstlern geschult.

Im titelgebenden Zyklus, der aus einer Reihe kurzen fast aphoristischen Texten besteht, heißt es:

Versteinert zu Mythenkugeln, aber gelenkig, sprayt sie sich eine Frisur. Prostet und redet wie eher, als sie Ritterin war, für unangreifbare Flanken, in Abwesenheiten von Faxen und Draht.

Die Überlagerung von Bild und Bedeutungsebenen bilden die schillernde Oberfläche der von vom Brocke beschworenen Zeit, die eine Gegenwart sein könnte.

Sonja vom Brocke
Venice singt
Umschlag-Poster, gestaltet von Andreas Töpfer
Kookbooks
2015 · 96 Seiten · 19,90 Euro
ISBN:
9783937445694

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