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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Garantiert erstligatauglich

Ich muss es zugeben: meine aktive Fußballlaufbahn endete bereits im zarten Alter von sieben Jahren beim Probetraining im einzigen Verein der Stadt. Da mir die taktischen Übungen des Trainers unnütz erschienen, zog ich es vor, den Ball eigenmächtig auf das Tor zu zirkeln, so dass ich zur nächsten Trainingseinheit nicht wiederzukommen brauchte. Ich spielte zwar weiterhin fast jeden Tag auf der Straße, doch ohne professionelle Anleitung blieben meine Fähigkeiten eher bescheiden, so dass mein schönster Treffer ein Eigentor im Schulturnier war: von der Mittellinie aus, vergleichbar mit dem Tor, das Bremens Diego aus über sechzig Metern Entfernung gegen Aachen erzielte. Der Torhüter saß mit verschränkten Armen im Strafraum, weil er auf Fußball eigentlich keine Lust hatte, so nahm das Unheil seinen Lauf.
Meine Leidenschaft als Fan entdeckte ich später ausgerechnet wieder, als ich am Fußgelenk einen Knorpelschaden vierten Grades auskurierte (eine ähnliche Verletzung immerhin, wegen der Sebastian Deisler seine Karriere beenden musste, auch wenn er sie am Knie erlitt). Als ich meinen Arzt fragte, ob ich auch weiterhin alle Sportarten ausüben könne, antwortete dieser: „im Prinzip alle, außer jene, für die sie ihre Beine und Füße brauchen“. Seitdem habe ich nie wieder Fußball gespielt.

Aber ich verfolge das nationale und internationale Fußballgeschehen als Fan mit bestandenem Stammtisch- Trainerschein, und schmerzlich war mir aufgefallen, dass so wenige Autoren in die Fußstapfen von (ich wage diese Bezeichnung zu wählen) „Fußballgott“ Ror Wolf getreten sind, der mit seinen Gedichten und Hörspielen einen wichtigen Beitrag zur deutschen Fußballkultur leistete. Gut, es gibt die Autoren- Nationalmannschaft, gab auch eine kurze Hochphase während der Fußball- Weltmeisterschaft 2006 im eigenen Land, als unzählige Texte zum Thema Fußball in Anthologien und Feuilletons erschienen. Bei einigen Beiträgen war man sich jedoch nicht sicher, ob die Autoren tatsächlich schon mal ein Fußballspiel verfolgt haben oder das Interesse nur simulierten, da es Aufmerksamkeit versprach. Über die ganze Spielzeit hinweg, also über die Distanz eines Fußball- Lyrikbandes, sind mir jedoch nur wenige Versuche bekannt: bis ich vor wenigen Tagen Stan Lafleurs „die welt auf dem fusz“ in meinem Briefkasten fand, das ich beim Fixpoetry- Rätselspiel gewonnen hatte.

defensivmann

warum er so wenig redete, wurde er
von reportern gefragt. weisz nicht, gab
er zur antwort. damit war alles gesagt

Da wären wir auch schon beim Thema. Wer glaubt, dass die Zeiten der großen Erzählungen vorbei ist, der hat noch nie die Spieler über den Platz laufen sehen, die Stan Lafleur in seinem Lyrikband porträtiert, und hat auch nicht diese Gedichte gelesen. Lafleur lässt keinen Zweifel daran, dass Fußball zu wichtigsten evolutionären Errungenschaften des Menschen zählt, bereits der Titel „die welt auf dem fusz“ deutet es an. „das reden hatte er, weil er selbst alle/ sprachlos machte, bereits in den jugend-/ ligen verlernt.“, heißt es da beispielsweise über Gerd Müller, denn warum sollte sich ein Mensch der Sprache bedienen, wenn er doch Tore schießen kann? „…ueberall explodierten/ seine schuesse & bomben, er hinterliesz// verwuestete abwehrformationen, taubes/ personal, gestandene maenner auf der/ suche nach dem eigenen schaedel“.

Überraschend vielschichtig versteht es Lafleur, das Geschehen auf und neben dem Platz in Worte zu fassen. Lafleur ist Fußballfan und -philosoph, schreibt mit Anteilnahme, kann zugleich spöttisch und pathetisch sein, so dass auch seine Gedichte vielfältige Töne aufweisen, etwa zwischen Ode und Groteske pendeln. Eine besondere Qualität sind hierbei die Überblendungen im Gedicht, resultierend aus einem genauen Blick, die auch dem Leser ungewöhnliche Perspektiven auf den Fußball eröffnen können. Etwa wenn sich die politische Ausgrenzung von Lauterns ehemaligem Spielmacher Wolfram Wuttke, der bei seinem Verein in der Saison 1989/ 90 suspendiert wurde und als schwieriger Spieler galt, im gleichnamigen Gedicht auch in dessen Spielweise und der Verbannung auf die Bank spiegelt:

sein unsteter geist bei der arbeit, wie er die/ klassengrenzen verschob & an der wand/ zerquetschte: das kam weder den kollegen// noch den bossen sonderlich zupasz. daher/ & auch wegen seiner verwachsenen beine/ lieszen sie ihn am feldrand dribbeln, wo er// sich frueh wundlief & den blues bekam: das/ gottverdammte fuszballleben des wolfram w./ & und nicht anders wuerde er seine autobiographie// betiteln,drunter bekaemen sie es nicht...“ 

Ein bitter- melancholisches, aber zugleich komisches Gedicht ist George Best gewidmet, jenem nordirische Fußballstar, der in seiner Zeit bei Manchester United wegen seiner Popularität und seines Lebensstils von den Medien als fünfter Beatle bezeichnet wurde (wobei die Liste der „fünften Beatles“ lang ist, George Best ist jedoch der einzige Fußballer unter ihnen). Lafleurs Gedicht steigt ein, als Bests Karriere bereits vorbei ist, er nur noch mit Alkoholexzessen, häuslicher Gewalt und einer Lebertransplantation Schlagzeilen macht. Zwischen gespielter Lässigkeit und Exzessen zeichnet Lafleur eine Person, die ihre tragische Rolle im Spiel schon nicht mehr durchschauen kann. Das Rollenspiel George Bests als Starfigur und sein Fußballspiel werden ineinander geblendet, so dass sich in pointierter Zuspitzung auch der Fußball nur noch „abseits des Lebens und des Platzes“ –im Gefängnis– vollziehen kann. Denn auf die Frage des Kellners nach mehreren Flaschen Champagner, was in Bests Leben alles schief gegangen sei, antwortet dieser: „… was soll schiefgegangen/ sein, nichts ist schiefgegangen, antwortete er/ & zirkelte seine paesse, kopfschuettelnd vor// so viel falschem mitleid, je nach pegel ins/ aus oder zu den begeisterten fluegelspitzen/ seiner kameraden von der knastmannschaft“

Das ist todtraurig, zugleich auch komisch und weist weit über das Fußballspiel als Thema im engeren Sinne hinaus. Bliebe zum Schluss noch, den Spielmacher im gleichnamigen Text zwischen Heiligenfigur und Vor- Denker zu verklären: „… ueberhaupt im gekruemmten/ raum sich bewegen hob ihn ab/ von den uebrigen, die die erde noch// als flaches gruenes spielfeld dachten…“

Das Buch ist bereits im WM-Jahr 2006 erschienen, soll hier aber jedem ans Herz gelegt werden, der sich für Lyrik ebenso begeistern kann wie für das Spiel mit dem Ball. Es ist ein Buch, das thematisch unterschiedlichste Facetten des Fußballs abdeckt – von aktuellen und „historischen“ Spielerporträts (Maradona, Blochin, Roger Milla) über Spielertypen („spielmacher“, „der dribbler“, „der recke“) bis hin zu Aspekten der Taktik und Spielkultur („vaeterlicher trainer“, „spielverstandnis“). Einige Passagen des Bandes sind auch auf der Trainerbank zitierfähig und bereiten größeres Vergnügen als die oft unsinnigen Premiere- Konferenzschaltungen, bei denen Tore immer dann fallen, wenn die Kamera nicht zugeschaltet ist. Und wenn die Bayern in der nächsten Saison wieder nicht Meister werden, dann möchte man ihnen die Worte hinterher werfen, die Lafleur Jürgen Klinsmann in den Mund legt: „des hier isch nicht dr eingang/ zur hoellee. mit e bissle obdimissmuss-/  schulee woerdet ihr des au verschtaehn“.

Stan Lafleur
die welt auf dem fusz
Fussballgedichte mit Halbzeitpause
Koall
2009 · 144 Seiten · 11,90 Euro
ISBN:
978-3-938436035

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