Was soll das?
Es fängt schon streitlustig an.
was sagt das kollege / schreibs auf schicks an dumont hochroth merve / was das sagt / und geh in eine fernsehdiskussion damit, / thema: „der alte ton kehrt wieder“ oder so
..., schreibt Stefan Schmitzer im Auftaktgedicht seines Bandes "denunziationen. haltlose gedichte". Der ist – ironischer, passender, perfider Weise? – bei hochroth erschienen und wirft von Anfang bis Ende eine dringende Frage auf: Was soll das?
Vielleicht will Schmitzer sich mit dem Text – der erste eines Zyklus, der dem Titel nach dem gefeierten Außenseiter Pier Paolo Pasolini gewidmet ist – ein bisschen über den Betrieb lustig machen, weil der den Klischees fleißig zuarbeitet. Vielleicht will er sich über hochroth lustig machen, weil die einen klischeehaften Objektfetisch bedienen: "denunziationen" kommt in einer Plastikschutzhülle, ist handgestempelt und eigentlich zu schön aufgemacht, um einen Nutzen zu haben. Vielleicht macht sich Schmitzer über sich selbst lustig, weil er doch genauso zum Outsider-Establishment des Literaturbetriebs gehört. Oder aber es ist ein vorsorglicher Mittelfinger an die Rezeption: Ihr könnt das nicht so einfach verschubladen, wie ihr es gerne hättet.
Dann allerdings gibt es in eben jenem Auftaktgedicht der "denunziationen" auch einen kursivierten Einschub zu lesen:
nicht die wirklichkeit ist gegenstand dieser arbeiten / sondern die mediale matrix der erzählungen / von vierhundert jahren zivilisatorischem ringen / um die funktionstüchtigste sozialtechnologie.
Das ist ein doppelter Bruch, der umso mehr Fragen aufwirft: Über wen sprechen diese Denunziationen, wem wird Meldung erstattet und wer tut das eigentlich? Und vor allem: Wenn nicht die Wirklichkeit, was dann ist Gegenstand dieser Arbeiten?
Schmitzers Gedichte sind de facto haltlos, wie es der Titel verspricht: Sie schießen scheinbar unmotiviert und augenscheinlich nicht immer zielsicher in die meisten, vielleicht auch alle Richtungen – sogar auf sich selbst. Sie sind andererseits deshalb nur schwer zu (be-)greifen, entziehen sich dadurch, dass sie zu viel anbieten. Zu viel Sprachmaterial mit Tech Talk, Slang, Ironisierungen und Nebensächlichkeiten, klugen Zitaten und rotzigen Volten.
ICH möchte teil der kreativen klasse sein, / und nicht mehr wissen, welche welt das ist, die ich bewohne
..., schreibt Schmitzer womöglich in Anlehnung an Tocotronics »Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein« und meint das vermutlich nicht als poetische Selbstaussage. Er könnte aber genauso wenig abstreiten, nicht irgendwie Teil der »kreativen klasse« zu sein – anders als Tocotronic, die sich lieber beim Alleinesein cool vorkamen. Schmitzer derweil redet hingegen vom »death of cool«, von Miles Davis an der Käsetheke. Eine rührende Vorstellung vom Prince of Darkness, der sich da über den bleichen Gouda beugt. Es impliziert, nun ja, Hilflosigkeit.
»dichtung / aus hilflosigkeit im / umgang mit der sprache«, zitiert Schmitzer noch vor diesem ersten Gedicht Oswald Wiener, darüber ist ein Zitat einer Star Trek-Figur aus der Picard-Ära zu lesen: Captain Dathon gehört einem Volk an, das sich nur mit Metaphern verständigen kann und deshalb eigentlich gar nicht wirklich. Eine gewisse, bestimmte Hilflosigkeit ist auch in Schmitzers Lyrik zu spüren, sie wird durch eine Wut kanalisiert, die wiederum inszeniert oder zumindest bewusst wahllos scheint.
der mörderische künstlerirrtum, die philosophie, die der autor ins gebilde pumpt, / sei dessen metaphysischer gehalt.
..., ruft Schmitzer an anderer Stelle Adorno hervor – ein bisschen fatalistisch, aber irgendwie auch berechtigt. Und wieder: Wie selbstkritisch ist vielleicht auch das gemeint? Und wenn die Philosophie kein Garant für Metaphysik dieser Arbeiten ist, die wiederum nicht die Wirklichkeit zum Gegenstand nehmen... Ja, was soll das dann?
Die Zyklen, aus denen Schmitzers "denunziationen" bestehen - »pasolini«, »heimatlied«,»traumzeugs« und »leute in landschaften« – verblenden Paradoxes miteinander, laufen thematisch ineinander über und entfernen sich immer wieder voneinander. Ständig wird die Ebene des Fiktionalen durchbrochen und in den folgenden Zeilen der Durchbruch wieder gestopft. Metaphysik ist nicht, Wirklichkeit ist nicht. Es bleiben die Metaphern als Ausdruck inhärenter Hilflosigkeit, wenn nicht sogar Ohnmacht oder zumindest ohnmächtiger Wut.
Das soll, das will zumindest eben nicht »den alten ton« anschlagen, der sich vielleicht auf einen – formal durchaus mit Schmitzer verwandten – Rolf Dieter Brinkmann, einen Pier Paolo Pasolini oder den ebenfalls auftauchenden Rainald Götz (hier ironisch-ikonoklastisch »rainer götz« genannt [Anmerkung der Red: Tatsächlich gemeint scheint der gleichnamige Lektor des Droschl-Verlags zu sein.]) zurückführen ließe, sprich: Kulturell schwer aufgeladene, dem Pathos und der Wut nicht abgeneigte Lyrik, die aus ihrer Hilflosigkeit im Umgang mit der Sprache nur die Flucht nach vorn zu kennen scheint. Soll das jetzt etwa... politisch sein?
das wird über mich schon was sagen, das alles
..., heißt es in einem Gedicht des »traumzeugs«-Zyklus, und vielleicht ist das die einzige Zeile dieses Bandes, die mit voller Entschiedenheit abgelehnt werden kann. Wenn Schmitzers "denunziationen" ihm selbst gelten, dann sind sie in der Tat haltlos, im Sinne von: Sie haben sich und erst recht nicht ihren Autor im Griff. Das ist auf eine Art sehr anstrengend und ganz sicher ziemlich erholsam, weil sie die ansonsten so funktionstüchtige Sozialtechnologie der Coolness, der nach außen getragenen Haltung und des Understatements unterminieren. Politische Lyrik für alle, denen politische Lyrik zu offensichtlich ist und deshalb so gar keine politische Lyrik. Das soll das also. Denn obwohl "denunziationen" streitlustig anfängt, letztlich ist es ja doch bei hochroth erschienen und irgendjemand wird den alten Ton schon heraus hören. So einfach ist das, und doch eben nicht.
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