Ratlos im Beisl
Die Anthologie ist, wie angedeutet, nichts anderes als das: Eine quasi tagesgenaue Chronik, ein Tagebuch aller Statusmeldungen, die Stefanie Fröhlich zwischen dem 16. September 2013 und dem 6. Februar 2014 gepostet hat. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Denn festgehalten werden muss, so schade es auch ist: Statusmeldungen allein, zumindest hier, machen noch keine Literatur. Diese zwischen Callcenter-Tristesse und Lebenskünstlerinnen-Alltag ins Social Network geposteten Notizen sind oft vor allem eins: so kunstlos wie möglich hingeworfen, dabei aber meist banal, und im schlimmsten Fall auf billigem Kalauer-Niveau.
Dass Stefanie Fröhlich durchaus schreiben kann und ein Händchen für die Kunst der leidenschaftlichen Schmäh hat, zeigt sie gerade in den längeren Texten, die für das auf Kurzlebigkeit angelegte Twitter- und Facebook-Format eigentlich unüblich sind:
Wenn man wegen der Lohnarbeit nicht kann, kommt einem das Beisl plötzlich wie der verheißungsvollste und schönste Ort der Welt vor. Der süßlich-herbe Biergeschmack, der verklebte, trockene Mund vom Billigtabak, die schwachsinnige Alkohollähmung im Hirn, die geistlosen betrunkenen Gespräche, der stickige Grind, der sich in die Poren einsaugt und die Haut binnen Minuten altern lässt, die verlorenen Seelen mit ihren spröden Haaren, ihren sinnentleerten Leben und ihre nach Beislmief stinkenden Kleider sind auf einmal das Schönste auf der Welt, das Paradies.
Was hier natürlich noch mit hineinspielt und diesen kurzen Text so lesenswert macht, ist der tiefe Griff in die Österreich-Klischeekiste, die den Leser in Berlin umso heftiger mit Exotismen umgarnt, je häufiger von Grind, Herzerln und Hosentürdln die Rede ist. Stefanie Fröhlich ist auch keine blutige Anfängerin in ihrem Format – ihr Debüt „Binge Living“ erschien 2013 in der redelsteiner dahimène edition –, daher kann man ihr das Spiel mit den Austriazismen durchaus als charmantes Gegen-das-Schienbein-Treten abnehmen: Die Derbheit wirkt nie pubertär oder aufgesetzt, sondern ist stets gut kalkuliert.
Positive Beispiele wie das oben zitierte Loblied auf das Beisl, also das schäbige Wirtshaus als Gegenentwurf für das sinnentleerte Großstadtleben junger Menschen, finden sich aber dann doch auf ganzer Strecke zu wenige. So bleibt „In der Zukunft sind wir alle tot“ leider an vielen Stellen in der Ratlosigkeit, die die Autorin häufig genug thematisiert, stecken – oder lässt diese in Beliebigkeit umschlagen, etwa durch die Aufzählung von Kinderportionen in Dorfgasthäusern, halb-lustige Anekdoten aus dem Callcenter-Alltag und Platituden wie „Das Leben ist so gruslig“.
Bestenfalls kann man sich von diesem Buch schräg und oft genug unter die Gürtellinie gehend unterhalten fühlen. Im schlimmsten Fall aber wiederum wird hier der Leser zu einem Alltags-Voyeur degradiert, der sich spätestens nach der Hälfte gelangweilt abwendet.
Logisch konsequent dagegen ist die Umsetzung von Stefanie Fröhlichs gesammelten Statusmeldungen als E-Book. Im Unterschied zur klassischen und vergleichsweise teuren Taschenbuchausgabe des Vorgängers „Binge Living“ ist die Veröffentlichung im kleinen Berliner mikrotext Verlag als E-Book-only die richtige Wahl für das Format von „In der Zukunft sind wir alle tot“, denn nicht zuletzt wird so der Bogen von der Wiener Schmäh zur Berliner Digitalbohème geschlagen. Und das ist eine Kombination, die in jedem Fall aufgeht.
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