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Kritik

In den kühlen Ganglien des Jetzt

Im goldenen Zeitalter der Ambivalenz ist es beinahe Usus, der fadenscheinigen Simplizität des Alltags nicht mehr zu trauen. Manche dieser Gedichte, die von lauernder Stille sind, kommen, wenn auch nicht mit der Wucht, so doch mit der Zwiespältigkeit eines frühen The-Sisters-of-Mercy-Songs auf einen zu. Stephan Turowski ist ein steter Konstatierer dessen, was sich kaum mehr auf seinen fassbaren Gehalt abklopfen lässt: das Verlässliche.

„Typisch sind die verrutschten Abschiede und Liebeserklärungen. Typisch ist die Lakonie“, notierte Uwe Kolbe 2006 angesichts des Debüts von Turowski „Und jetzt bist du nackt“ und erfasste gleich und trefflich die an Understatement reiche Heransgehensweise des Wahl-Kielers. So auch in „Glückwunsch zur Wunde“ dass es einen, schon in Sicherheit gewiegt, zuweilen unbestimmt schaudert. „Ohne Haut kam ich / an dein Ufer geschwommen, // meine Knochen noch einmal / an deinen zu reiben, / bevor du verglühtest / in einem endlosen Kuß“, heißt es beschwörerisch in „Der Schrei“, um, in lyrischer Hinsicht, tragödisch zu enden: „Ich bin des Meers so müde.“ Meermüdigkeit – unter Dichtern eine Metapher für höchstes Ausgebranntsein, die Verkehrung der „Meeressehnsucht“, die zu den letzten Trostelixieren der Künstler gehört. Die helleren, hymnischeren Gedichte dieses Bands sind zaghafte Liebes- und Freundschaftsgedichte, in ihnen versinkt man zwischen den Beinen der Geliebten „in der Finsternis“ oder man verständigt sich mit den Nahen über die Strände, die man nicht erreicht hat, um zu erkennen, dass man mit dem was hat, auskommt.

Auskommen – auch so ein zögerlicher Begriff, der das Erträumte und Empathische beruhigt: in den kühlen Ganglien des Jetzt sind sie möglicherweise schon Symptome für das, was man einerseits (das schon Vorhandene) sich müht, zu schätzen, andererseits (was man vielleicht bereits nicht mehr erwartet), worauf man sich vorbereitet, darauf zu verzichten. „Ich liebe das Gleichmaß / der Tage, den Lichtstreifen // am Horizont, wenn ich aufstehe, / das Nein am Himmel, wenn es dunkelt, // dazwischen lebe ich und gleite / durch die Wohnung …“ – diese Sequenz ist dem Leben, scheint es, näher auf der Spur als das welke Gebaren derer, die sich das Glück aber nun mal richtig verordnet haben: „ich treffe meine Freunde enthauptet / im Stehcafé wieder, alle haben sie Frauen // Kinder und Zukunft, ich sehe das Nein / des Himmels auf mich herabstürzen, // daß ich auf die Knie sinke, / die Stirn am Bordstein zu reiben // von nun an, zu ruhen gekommen / an niemandes Brust.“ Das Scheitern als Konsequenz für die überhitzte Erwartung der Zeit. Ein Ausweg und zugleich eine Art Verderben ist die Devotheit vor dem Unabänderlichen oder sich an die Stunden erinnern, da man im Wald liegt und sich am Leib einer Geliebten reibt, ohne zu vergessen, dass eben das bezweifelbar bleibt.

Die so spröden wie beeindruckenden Gedichte Stephan Turowskis sind in einem dieser tapferen kleinen Verlage erschienen, die sich nicht zu schade sind, für die öffentliche Fortexistenz der Lyrik einzustehen – in der Dresdner Edition Azur, deren Mastermind Helge Pfannenschmidt Dichtern wie Jan Volker Röhnert oder der wunderbaren Nancy Hünger ein Forum gab, sind die Gedichte Turowskis in schöner bibliophiler Behutsamkeit bestens aufgehoben. Jenes Wundenschlagen in der überwältigenden ‚Egalität‘ der gegenwärtigen Literaturöffentlichkeit mit ambitionierten Büchern, das ist es, wozu man dem Unterfangen zu gratulieren hat. Und „Glückwunsch zur Wunde“, diese ausgeräumten, gedimmten Sprachräume Turowskis, sie vermitteln tatsächlich, wie es in der Lyrik selten vorkommt, einen Eindruck von der mit Normalität übertünchten Bruchkante der Jetztzeit, an der wir uns eingefunden haben.

Stephan Turowski
Glückwunsch zur Wunde
edition AZUR
2011 · 64 Seiten · 14,90 Euro
ISBN:
978-3-942375023

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