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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Eine überfällige Entdeckung

Die Prosaschriften von Susan Taubes
Hamburg

Ich fand auf auf der Seite Fixpoetry.com in der Fix Zone einen Hinweis auf dieses Buch: Prosaschriften von Susan Taubes. Der Name der Autorin wirkte elektrisierend auf mich, in indirekter Weise, gehören doch die Werke von Jacob Taubes zu meinen ergiebigsten Lektüren. Susan und Jacob Taubes waren eine Zeitlang verheiratet, und ihr Briefwechsel füllt zwei Bände, die den Auftakt zur Ausgabe der Schriften von Susan Taubes im Verlag Wilhelm Fink bilden.

Wenn man also Susan Taubes auch anfänglich über ihren zeitweiligen Ehepartner wahrnimmt, so löst sich diese familiäre Verstrickung doch im Auge des Lesers nach wenigen Absätzen der Lektüre im vorliegenden Buch vollkommen auf, und es ersteht eine autonome Autorin aus dem Text, die nicht auf private Referenzen angewiesen ist. Entsprechend vielleicht der erste Satz der ersten Erzählung des Buches:

Ich habe keine Vergangenheit.

Der Icherzähler oder die Icherzählerin allerdings in dieser ersten Erzählung „Der Patient“ ist Insasse einer psychatrischen Klinik. Er oder sie ist alters- und geschlechtslos und erzählt aus einer vagen Situation heraus das Scheitern von und die Sehnsucht nach gelungener Individualisierung. Gleichzeitig aber erzählt er oder sie auch die körperliche Einschreibung dieses Scheiterns, die zu einem unbestimmbaren Leib führt. Aus dieser Perspektive aber erzählt der Erzähler oder die Erzählerin eben das Scheitern des bürgerlichen Subjekts im Kapitalismus.

Manchmal frage ich mich noch immer, ob ich eines Tages als richtiges Kind wiedergeboren werde. Aber meine Füße, wenn sie aneinander reiben, fühlen sich groß und schwielig an.

Ein starker Auftakt, der die Richtung auf das weist, was den Leser im Weiteren erwartet. Und es ist eine Vorwegnahme des feministischen Diskurses des späten zwanzigsten und frühen einundzwanzigsten Jahrhunderts: Subjektivierung im Verhältnis zu Körperlichkeit - und letztlich ihr notwendiges Scheitern angesichts gesellschaftlicher Präformierung - bildet das Zentrum unter anderem der Untersuchungen Judith Butlers. Man denkt bei der Lektüre aber auch an Kafkas Ungeziefer in der Erzählung „Die Verwandlung“. Gregor Samsa ist hier unbestimmten Geschlechts.

Auch dass dem Scheitern kein anderes Gelingen vorausgeht, ist Gegenstand der Erzählungen Taubes' . In „Rombachs Tochter“ beispielsweise erfährt man vom vollkommen mechanistischen Zugang eines Psychoanalytikers zu seiner eigenen Sexualität, und wie er seine Befangenheit gegenüber seiner Tochter zwanghaft in Souveränität umdeutet. Diese Umdeutung aber kann seine eigene Versehrtheit höchstens überdecken.

Natürlich liegt in der Drastik und Dramatik der Darstellungen ein bitterer Humor, ohne den das Dargestellte schwer auszuhalten wäre. Und Susan Taubes erprobt in den Texten die verschiedensten Arten von Distanz, die auch die Erzählhaltungen variieren lassen. Es scheint, als wolle sie der Darstellung des Scheiterns doch noch ein Gelingen abringen, das in der Form liegt, in der Kunst dieser Texte. Die Erzählung “Der letzte Tanz“ beispielsweise kommt in Form eines Märchens daher, testet verschiedenste Phasen im Leben auf ihre Haltung zum Tod hin aus. Mag sein, dass hier etwas vom Suizid der Autorin aufscheint, den sie 1969 begeht, aber das ist Mutmaßung. In den Texten liegen Strukturen offen, die weit über das Private hinausgehen.

Der Band mit den Prosaschriften wurde von Christina Pareigis herausgegeben und kommentiert und von Werner Richter übersetzt. Auch hier sehen wir eine Besonderheit. Einige - wenn nicht die meisten - dieser Prosatexte werden hier zum ersten Mal in gelungener Übersetzung publiziert.

Hinter dem ganzen Projekt steht das Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin (ZfL), wo die Susan-Taubes-Edition unter der Leitung von Sigrid Weigel angesiedelt ist. Hier sei der hervorragenden und wichtigen Arbeit des Zentrums gedankt.

Seit 2003 wird der Nachlass von Susan Taubes, die 1928 als Susan Feldmann in Ungarn geboren wurde und in die USA emigrierte, am ZfL archiviert und erforscht. Taubes Großvater war Großrabbiner in Budapest und ihr Vater Sándor Feldmann arbeitete als Psychoanalytiker. 1939 emigrierte der Vater ohne seine Ehefrau, aber mit seiner Tochter in die USA. Dieser Umstand bildet den Hintergrund des bereits erwähnte Textes „Dr. Rombachs Tochter“. Susan Taubes studierte Philosophie an der an Harvard University und wurde 1956 mit einer Arbeit über Simone Weil promoviert. Später lehrte sie Religionsgeschichte an der Columbia University in New York.

Ihr Leben und Schreiben sind Zeugnis einer für das 20. Jahrhundert außergewöhnlichen und zugleich paradigmatischen Erfahrungsgeschichte, in der jüdisches Exil und weibliche Intellektualität zusammentreffen

heißt es auf der Webseite des ZfL. Angesichts der Texte und des Schicksals von Texten wie Autorin wird deutlich, wie sehr das zwanzigste Jahrhundert eine Verdrängngs- und Verschüttungsmaschine in Gang setzte. Erst nach und nach werden durch Publikationen wie die vorliegende, Autorinnen wie dem Vergessen entrissen. Ein weiteres Beispiel ist die Philosophin Judith Shklar, deren Werk wir bereits vorgestellt haben.

In der Edition der Schriften von Susan Taubes sind größtenteils bislang unveröffentlichte Texte versammelt. Im Nachwort berichtet Christina Pareigis über die Publikationsversuche in den sechziger Jahren, als Taubes eine Karriere als Wissenschaftlerin zugunsten des literarischen Schreibens aufgegeben hatte. Dennoch blieben auch hier die gleichen Themen bestimmend, die es für sie in der Wissenschaft gewesen waren:

Ihr literarisches und kulturwissenschaftliches Werk reflektiert Erfahrungen des Transits, des Verlusts und der Ortlosigkeit und dokumentiert eine enthusiastische Teilhabe am intellektuellen Aufbruch der Nachkriegskultur in den USA, in Israel und im Europa der 1950er und -60er Jahre.

So die Herausgeberin. Das wird im demnächst erscheinenden Band in dieser Edition mit den wissenschaftlichen Arbeiten Taubes', den ich nach der Lektüre der Prosaschriften mit Spannung erwarte, nachzulesen sein.

Dass der letzte Text vor dem Nachwort in diesem Buch „Klage um Julia“ der längste ist, bedeutet nicht, dass die vorangehenden kürzeren Texte Etüden wären, die auf diesen Text zulaufen. Vielmehr sind es Variationen, in denen sich eine Autorin ihres Materials und ihrer literarischen Mittel versichert. (Nahe liegt die Nähe zum Absurden, nicht nur aufgrund von literarischen Moden.) Eben diese Versicherung ist das Werk schon selbst. Das heißt, das Werk ist die Übung und zugleich das Resultat, auf das die Übung hinzielt. Der Weg ist das Ziel, könnte man eine fernöstliche Weisheit zitieren, die inzwischen auch hierzulande sprichwörtlich ist. Und dennoch liegt in jenem letzten Text eine Besonderheit. Die Erzählerin in „Klage um Julia“ ist Teil einer gespaltenen Persönlichkeit, die sich als Souverän erfährt, pars pro toto, und gleichzeitig scheint dieses Teil-Ich in einer anderen Zeit zu leben. Als Festes begleitet es die Entwicklung seines angenommenen Gegenüber.

Der Schizophrene ist der universelle Poduzent

heißt es in "Anti-Ödipus" von Deleuze und Guattari, einem Buch also, das etwas später entstanden ist als Taubes Text, aber noch in der selben Dekade, den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Dass dieser Produzent, als universeller, auch sich selbst hervorbringt - und ebenso zerstört - ist Gegenstand der Kurzromans, der den Abschluss der "Prosaschriften" bildet.

Susan Taubes · Christina Pareigis (Hg.)
Prosaschriften
Übersetzung:
Werner Richter
Wilhelm Fink Verlag
2015 · 253 Seiten · 34,90 Euro
ISBN:
978-3-7705-5900-8

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