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Kritik

Auf dem Amtsberg

Phantastische Kurzgeschichten zwischen Horror und Ironie
Hamburg

Das Paranormale irritiert, verunsichert und macht skeptisch. Es stellt Dinge in Frage, von denen wir glauben, dass sie durch Naturgesetze und wissenschaftliche Erklärungen abgesichert sind. Die Abweichungen von diesen Gesetzen und Erklärungen üben dabei einen besonderen Reiz auf den Menschen aus, weil sie uns in dem Glauben bestärken, dass es hinter der Welt, die wir kennen, noch mehr gibt. Somit sind die Verunsicherungen und Irritationen immer auch mit einer Einladung zu einem Abenteuer verbunden.

Sven Amtsberg ist dieser Einladung gern gefolgt und hat eine „nicht ganz ernst gemeinte“ Sammlung von phantastischen Geschichten geschrieben, die unter dem schlichten Titel Paranormale Phänomene im Metrolit Verlag erscheint. Amtsbergs Buch irritiert den Leser also schon im Klappentext. „Dieses Buch versammelt Schilderungen von Augenzeugen, die über paranormale Phänomene berichten. Es bemüht sich um Aufklärung dieser Phänomene und ist bestrebt, die Parapsychologie aus ihrer Schmuddel-Ecke zu holen.“ Ganz ernst gemeint ist es aber nicht. Also stellt sich von Anfang bis Ende die Frage: Was wollen diese Geschichten wirklich? Unterhalten? Schocken? Oder ein ohnehin nicht sonderlich ernstgenommenes Genre karikieren? Sicher von allem etwas, muss man sagen, denn Amtsbergs ändert seine Erzählhaltung von Text zu Text.

In Mutter und das Meer oder Tiere wie Hans erzählt er mit fast heiligem Ernst von der psychopathologischen Transformation bzw. vom Verfall geliebter Menschen. Im ersten Fall bahnt sich die Sehnsucht einer in den Bergen lebenden Mutter nach ihrer Heimat einen drastischen Weg. Im zweiten Fall kehrt ein verstorbener Mann in Form einer bizarren Wiedergeburt zu seiner Frau zurück. Beide Geschichten lassen, obwohl sie vereinzelt auf komische Elemente zurückgreifen, wenig Raum für Ironie. Das Phantastische bildet hier Kontext und/oder Reflexionsfläche für die Gefühle und Schicksale der Figuren.

Ganz anders stellt sich das in den Geschichten Polnische Außerirdische und Ein Stern namens Monika dar. Hier dominiert schlichtweg der fragwürdige Spaß daran, einzelne Figuren, die sich als Kommunikationsmedium in andere Welten verstehen, als Deppen darzustellen. Das mag für einen Teil der Leserschaft ganz unterhaltsam sein, hat jedoch nur einen geringen literarischen Mehrwert. Auch die Erhebungen des Autors über Figuren, die in offensichtlich langweiligen und gescheiterten Beziehungen nebeneinander her vegetieren (Schwebezustand, Die Blutspur), hinterlassen einen faden Beigeschmack. Es sind dies die Geschichten, in denen Schockeffekte (z.B. blutende Steckdosen oder die Tötung von Doppelgängern) zu den eigentlichen Protagonisten gemacht werden. Dass die Figuren dabei zwangsläufig auf der Strecke bleiben, liegt auf der Hand.

Dann wiederum gibt es Geschichten, in denen ähnliche (teilweise auch schematische) Figurenkonstellationen es schaffen, den Leser mitzunehmen, sodass Empathie und Grusel tatsächlich gleichberechtigt wirken können. Allen voran ist hier die Geschichte Der Aggregatzustand der Nacht zu nennen,  in der ein Paar verzweifelt versucht gegen die sich, im Wortsinne, verfestigende Nacht zu wehren, die ihr gemeinsames Leben bedroht. Auch Der Amtsberg erzählt intensiv und eindringlich vom Verlust des gewohnten Lebensraums durch die mysteriöse Auflehnung der Natur gegen den Menschen. Ob derartige Metaphorisierungen auch beabsichtigt sind, lässt sich aus genannten Gründen aber nicht mit Sicherheit sagen. Und so hinterlässt der alles in allem durchwachsene Band ein merkwürdiges Gefühl, das jedoch nicht von den erzählten Phänomenen herrührt. Da eine eindeutige Haltung zum Paranormalen fehlt, schwanken die Stories leider stark zwischen ernstzunehmendem Horror, klassischer Phantastik und durchironisierter Hipster-Literatur.

Durchweg überzeugend sind hingegen die Illustrationen von Kat Menschik, die die Stories nicht nur begleiten, sondern in beeindruckender Weise ergänzen.

Sven Amtsberg
Paranormale Phänomene
In kongeniale Bilder übertragen von Kat Menschik
Metrolit
2014 · 208 Seiten · 20,00 Euro
ISBN:
978-3-8493-0343-3

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