Die Welt will bunten Zucker, Luftballons, Glanz und Glitzer.
Fische. Sie haben sich bei ihm eingenistet, da kann er machen, was er will. Erst waren es die kleinen, „detailgetreu mit zarter Farbe aufs Papier getuscht.“ Da konnte er dann gleich seine Mappe wieder einpacken und heimgehen: Solche Kindereien waren an der Kunstakademie der zweitgrößten Stadt nicht mehr gefragt. Blamiert hat er sich, der Bub, der kleine Fisch. Geschämt. Danach hatte er genug von den Fischen, was die allerdings ignoriert haben: Sie sind einfach aus seinem Inneren in die Hand geflossen und auf das Papier geschwommen. Immerhin Großformat inzwischen. Zwei Tische musste er dafür zusammenschieben in seiner Studentenbude: Er hat es nämlich geschafft ein Jahr später, studiert jetzt Kunst. Und langsam freundet er sich mit den Fischen an. Steigt zu ihnen in den Fluss. Ist entsetzt über ihre unfreundliche Art. Ihre Ungeduld. Da trifft er auf eine „sportlich vorbeikraulende Nixe“, die ihn aufklärt: „Es gibt die stillen Fische, die nur Blubb sagen, und es gibt die lauten, aggressiven, selbstsüchtigen, unleidlichen.“ Dabei hatte er geglaubt, das Wesen der Fische zu kennen…
Er kommt aus einem Provinzkaff und nennt sich jetzt Johnny: „Ganz sicher heißt hier keiner Johnny und hätte auch dort auf dem Land keiner Johnny geheißen, aber ich mache mit diesem Namen jetzt einen Anfang in der Stadt. Johnny, der Stille, das ist zwar nicht die schönste aller Rollen, aber besser als gar keinen Namen zu haben und gar kein Gesicht.“ Ein kleiner Fisch eben, der noch nicht richtig schwimmen kann. Im Gegensatz zu Jean, der auch nicht wirklich Jean heißt. Ein Überflieger, der sofort an der Kunstakademie angenommen wird mit seinen riesengroßen Bildern. „Ich denke daran, welch ein Trottel Jean gewesen ist, damals mit seiner Bombe im Schwimmbad auf dem Land, das ist doch erst wenige Wochen her, und wie großartig er jetzt ist.“ Johnny sucht seine Nähe. Alle möchten ihm nahe sein. Er hat sich in diesem Jahr, als Johnny noch für die Aufnahmeprüfung ackerte, schon einen Namen gemacht, „und wenn man etwas nicht weiß, heißt es: Frag Jean.“
Jean, selbstsicher, provokant, wirft sich mit Haut und Haaren in seine Ideen. Probiert sich aus. Kompromisslos. Ist das enfant terrible, das sich alles erlauben darf und immer wieder von allen bewundert wird: Ob er im Sperrmüll wühlt, sich mit dem Gefundenen in seinem Zimmer verbarrikadiert und als Faun auf einen selbstgezimmerten Thron setzt, einen labyrinthischen Raum baut mit einem weißen Kubus aus sechs Leinwänden, die er Johnny einfach weggenommen hat, und schwarze Videoprojektionen laufen lässt. Oder „Schwarz-Weiß-Kopien von Geldscheinen anfertigt, die er für den doppelten Wert des aufgedruckten Betrages feilbietet“ und sich „ein dickes Bündel Scheine am Ende des Abends in die Gesäßtasche seiner Jeans“ stopft. Grinsend. Mit erhobenem Mittelfinger.
„Ich glaube, alle sind in Jean verliebt.“ Weil er nicht zögert, nicht zaudert, das tut, was er für richtig hält. Es ihm egal ist, ob er im Zickzack durch die Welt läuft, sich widerspricht, seine Meinung alle naslang ändert: „Jean hat sich durch die Bekanntschaft mit Minou von seiner Grauen Phase abgewandt. Er sagt, die anthrazitfarbene Reduktion sei ihm zu fade, zu feig und zu einfach geworden. Du riskierst damit heute nichts mehr, behauptet er. Er sagt, er gibt der Welt jetzt, was sie verlangt, und sie will bunten Zucker, Luftballons, Glanz und Glitzer. Sie will Popstars und Pferde. Und sie will Sex. Nicht angedeutet und verhohlen, sondern frei heraus und unmissverständlich.“
Und Johnny, der Ich-Erzähler? Der träumt. Träumt sich den Coolen, den Alleskönner als Freund. Ist sein „blasser Bewunderer“, der ihm hinterherläuft. Der „Graue Mäuserich“ und „Johnny-der-die-Zigaretten-dreht“. Der nicht arbeiten kann, weil auch Jean sich in ihm eingenistet hat. In seiner Phantasiewelt gehen sie ins Lokal am Kai, trinken Pastis, reden über Gott und die Welt: über Farben und Kunst, Geliebte mit französischen Namen und Cranach. Weil, „wenn nichts mehr hilft, hilft Cranach.“ Johnnys Leben spielt sich mehr in seiner Einbildung ab, in seinen Hirngespinsten, wo ihm auch Dalì, Duchamp, Charlie Chaplin begegnen, die alle etwas zu sagen haben. Nur Johnny hat wenig zu sagen, ist zu besessen. Von Jean. Von dessen Leben, das er wie einen Kinofilm vor seinem inneren Auge ablaufen lässt. Aber dann passiert doch das Unvorstellbare: Jean, der inzwischen Assistent der Professorin ist, zeigt ihm, wie man druckt. Beim zweiten Termin erscheint er aber nicht: „Ich stelle fest, auch der wirkliche Jean ist nicht die fleischgewordene Verlässlichkeit. Aber ich sage mir auch: Immerhin kennt er mich jetzt und ist vielleicht auch so etwas wie mein Freund, und ich bin seiner.“
Haben sich die beiden nun wirklich angefreundet? Oder ist das auch eine Geschichte, die nur in Johnnys Kopf existiert? Teresa Präauer spielt in ihrem zweiten Roman „Johnny und Jean“ mit Grenzen: Nie ist klar, was in der Geschichte tatsächlich passiert ist, was erfunden. Realität und Phantasiewelt fließen ineinander, durchdringen sich. Sind unentwirrbar verflochten. Ineinander verzahnt. Alles schwebt, entzieht sich dem festen Zugriff. Ist auf Wolken gebaut, in Luftschlösser geschrieben, und vielleicht ist gar nichts wahr: Weder Johnny noch Jean. Und die Geschichte spielt mit der Kunst, dem Kunstbetrieb, mit Andeutungen, Wünschen, Hoffnungen und dem Fallen. Mit der Sprache, die oft von Möglichem erzählt und Unmöglichem, von Vorstellungen, wie schon im ersten Satz: „Ich stelle mir vor, wie ich als junger Bub auf dem Land lebe.“ Die klar und sparsam an einen Ton erinnert, der pausenlos schwingt und sirrt, und erst auf den letzten Seiten tiefer rutscht. Ruhiger wird. Stiller: Als Johnny mehr er selbst wird, Jean dabei immer mehr verblasst, bis er ganz aus Johnnys Leben verschwindet. Aus der Welt.
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