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Kritik

Aus der Gegenwart ins Licht

Neue deutsche Lyrik und Ihre Stellvertreter

Laute, Verse – die Bestandteile eines Gedichtes. Auch so kann man, schreibt der Herausgeber  Thomas Geiger, den Titel jener gerade erschienenen Anthologie lesen, die schon im Vorfeld für ein wenig Aufsehen in Lyrikerkreisen gesorgt hatte, weil man bei dtv eine unglücklich gewählte Ankündigungsformel benutzt hatte: man sprach von der Auswahl als einem Kompendium der „wichtigsten“ deutschen Stimmen der Gegenwartslyrik. Lautes Geklappere, das wohl sein muß, wenn man verkaufen will, aber unsinnig wird, wenn man es hinterfragt. Werbeunfug, der sofort korrigiert wurde. „Eine repräsentative Auswahl neuer deutscher Lyrik“, heißt es auf dem Klappentext des immerhin 360 Seiten starken Paperbacks und dem kann man ohne Wenn und Aber zustimmen.

Thomas Geiger greift dabei ganz unterschiedliche Spielarten heraus, ihm scheint es wichtig deutlich zu machen, daß eine lebendige Gegenwartslyrik gerade von den Unterschieden lebt, weil nur sie Impulse und Reibung erzeugen. Die Liste der 24 vertretenen Autoren generiert er dabei größtenteils aus dem Namensbestand des Lyrikregisters der SPRITZ, deren Redakteur er ist. Sprache im technischen Zeitalter. Gedichte aus der Gegenwart. Tatsächlich ist es so, daß die 1961 von Walter Höllerer gegründete Spr.i.t.Z. sich in den letzten beiden Jahrzehnten aus einem vormals mehr dem Essay und der Kritik verbundenen Organ nach und nach durch die Aufnahme auch von Primärtexten zu einer Zeitschrift entwickelt hat, die sowohl topographisch (im Literarischen Colloquium Berlin) als auch topologisch im Zentrum der Gegenwartsliteratur angesiedelt ist. Namen, die dort auftauchen, gehen kaum mehr unter.

Henning Ahrens, Marcel Beyer, Nico Bleutge, Nora Bossong, Daniel Falb, Ulrike Draesner, Matthias Göritz, Durs Grünbein, Hendrik Jackson, Thomas Kling, Christian Lehnert, Steffen Popp, Marion Poschmann, Monika Rinck, Hendrik Rost, Silke Scheuermann, Kathrin Schmidt, Sabine Scho, Lutz Seiler, Volker Sielaff, Ulf Stolterfoht, Anja Utler, Jan Wagner, Uljana Wolf – eine aussagekräftige Auswahl von Autoren, die in den letzten Jahren in der deutschen Lyrik (nicht der deutschsprachigen - es fehlt das deutschsprachige Ausland, das weiß Thomas Geiger und bedauert im Nachwort diese Beschränkung, die sich aus dem umsetzbaren Umfang der Anthologie ergab) hervortraten als eigene Stimme. Thomas Geiger hat sie ausgewählt, um mit ihrer Hilfe dem Gedicht der Gegenwart eine größere Breitenwirkung zu ermöglichen. Interessant ist dabei seine Vorgehensweise. Er präsentiert die einzelnen Autoren nicht mit zusammenhanglosen Highlights, sondern gewährt durch die Verwendung von Texten aus möglichst allen bislang erschienenen Gedichtbänden des jeweiligen Autors Einblick in die Genese des speziellen Tons und der individuellen Eigenart. Dazu passend und den jeweiligen Lesestrecken vorangestellt, kommentieren die Autoren jeweils eines ihrer Gedichte, erzählen aus den Prozessen, die mit dem Gedicht verknüpft sind und verstärken damit nicht nur die eigene portrait-artige Präsenz, sondern lassen in der Gesamtschau eine Art „Patchwork von Minipoetiken“ (Thomas Geiger) entstehen. 

Damit schafft es der Herausgeber ein aufregendes Leseabenteuer zu kreieren, das den Reichtum der Gegenwartslyrik nicht nur spiegelt, sondern auch den Puls sichtbar werden läßt, der ihn erzeugt. Während der Erzähler geschichtlich denkt, ist dem Lyriker Gegenwärtigkeit die Prämisse seines Tuns. „Es ist möglich aus den Zutaten des Universums, des Bewusstseins und der Gegenwart ein durchaus schmackhaftes dualistisches Gericht zu kochen.“ sagt der Philosoph Jörg Neunhäuserer. Man braucht nur einen Buchstaben, das „r“, auszutauschen und wir landen beim Gedicht. Es ist möglich, auch das zeigt „Laute Verse“, in unserer so kompliziert gewordenen Welt augenblicksweise zu schauen, den Blick auf das zu lenken, was in der Sprache geschieht, wenn man sie der Gegenwart innerhalb des eigenen Zusammenhangs aussetzt. Wie kunstvoll und ansprechend das gelingt, wie inspirierend das sein kann – all das begegnet uns in dieser Anthologie, die damit auf bestem Niveau Lust macht auf zeitgemäße Lyrik. Die ist nämlich keine Fachsprache und kein Geheimscript (das alles kann sie auch sein, aber eben nicht ausschließlich), da sind lebendige Leute wach in der Auseinandersetzung mit sich und der Welt. Ich vermute, dies zu zeigen, war auch ein Beweggrund für Thomas Geiger, die Anthologie so und nicht anders zu gestalten und das ist ihm sehr gut gelungen.

Ob es aber je gelingt die Lyrik aus dem Nischendasein mehr ins Licht zu rücken? Ich fürchte: nein. Die Nische hat ihr eigenes Licht, an das man sich gewöhnen muß. Und ist man einmal daran gewöhnt, dann schmerzt das grelle, laute Licht, es reißt den ganzen Zauber fort. Es macht zum Wichtigsten, was gar nicht das Wichtigste an diesem Buch ist. Man müßte die Beleuchtung ändern, das harte Licht mit diesen Röntgenstrahlen, die den Weltkörper nach Geld absuchen, dann hat vielleicht auch die Lyrik wieder eine Chance.

Thomas Geiger
Laute Verse
Gedichte aus der Gegenwart
dtv
2009 · 360 Seiten · 14,90 Euro
ISBN:
978-3-423246927

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