„Die berühmten Worte […], die Luther so nicht gesprochen hat”
Was ist Reformation ihrem Anliegen nach? – Sloterdijk in der Neuen Zürcher Zeitung:
„Luther umgeht die letztlich unauflösbare Verlegenheit des Schwebens im Ungewissen durch einen Akt der Externalisierung, indem er die Sicherheit in die Heilige Schrift auslagert. Dies gelingt ihm, indem er die Seele – an der von den Mystikern gelehrten Vernichtung des Ich anknüpfend – in eine schlechterdings passive Position gegenüber dem Zuspruch des heiligen Textes setzt. Obschon das Lesen nicht ohne einen Anteil an Verstehens-Eigenmacht zu denken ist, soll das Gemüt des Gläubigen in einen Zustand bedingungsloser Rezeptivität gelangen. Dies setzt im Stillen die überschwängliche Annahme voraus, Gott selbst lese seine Bibel durch meine Augen. So wie die Gnade nur wirksam sein kann, wenn sie schlechthin umsonst gewährt wird, so muss die Offenbarung durch die Schrift sich ohne jede Einmischung eines Eigen-Sinns mitteilen.”1
Thomas Kaufmann setzt sich mit seiner Einführung in die Reformation zwischen zwei Stühle, eine solche Skizze, die kompakt sozusagen formuliert, worum es Luther ging, einerseits – und andererseits das opus magnum, das detailliert ein Thema faßte, das selbst ein dickes Buch kaum adäquat fassen kann.
Das Ergebnis ist dennoch recht überzeugend, wiewohl nicht immer klar ist, für wen da geschrieben wurde … aber dafür entschädigt, daß der Verfasser auf 100 Seiten mitunter Schwieriges klar und dennoch differenziert zeigt, so die „faktische Pluralität der konfessionellen Theologien, die lehramtlich nicht zu restringieren war”, was „Haltungen begünstigt, die individuelle Aneignungen und zeitgemäße Fortbildungen evangelischer Theologie bejahten.”
Das, was vielleicht manchen Leser zum Googlen und Verzweifeln bringt, ist immerhin zugleich eine stringente und zugleich wunderbar kurze Erklärung dafür, daß Pietismus und Nietzsche entfernte Verwandte sein mögen.
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