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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Aus der Reihe getanzt

Hamburg

Es gibt in der elektronischen Musik einen hartnäckig sich haltenden Topos: Der vom DJ-Set als Geschichte. Ein die Tanzenden verausgabenden nächtliches Narrativ, komplett mit retardierenden Momenten (wenn für 16 Takte die Snare im Crescendo wirbelt), Klimaxen (wenn die Bassdrum dann wieder four to floor gibt) und Dénouments (spätestens wenn das Licht angeht). Das macht die DJ- zur Autorfigur, zur Erzählinstanz. Das wirkt perfide, da doch gerade die Autorschaft von in der Anonymität schwelgenden Kollektiven wie Underground Resistance angezweifelt wurde. Die Party habe der Star zu sein, ganz im Zeichen des Sounds der flachen Hierarchien, von dem in oral histories wie Der Klang der Familie geschwärmt wird. Und es wirkt ein wenig apologetisch, als solle dem latenten Vorwurf, dass DJing doch kaum mehr ist als die Musik Dritter abzuspielen, etwas entgegen gehalten werden.

Als DJ hat Thomas Meinecke schon unzählige dieser vermeintlichen Stories gesponnen, Basslines, Beats und Chords ineinander geflochten, auf den nächsten Wendepunkt hinarbeitend. Als Autor hat er hingegen gedeejayt, im Rahmen seiner Poetikvorlesungen in Frankfurt aus Rezensionen zu seinen Romanen zitiert und collagiert, ganz so, als würde er Beats matchen. Meinecke leiht sich die Techniken des DJings und Produzierens – Beispiele für Sampling und Remixing finden sich auch in seinem Schreiben– für seine Literatur und beweist damit schlagkräftig, dass die beiden sich von ihren Verfahrensweisen gar nicht allzu sehr unterscheiden. Intertextualität, Rekontextualisierung auf der einen, Remix- und DJ-Kultur auf der anderen Seite, das nimmt sich nicht viel. Am Ende steht das Erlebnis das vielleicht schon gelesenen oder gehörten, die Resultate jedoch variieren.

Über das DJ-Sein hat Meinecke ebenfalls geschrieben, von 2007 bis 2013, für die Groove, einem der zweifellos wichtigsten Magazine für elektronische Musik und den dazugehörigen Lifestyle. Die 33 im Zweimonatsrhythmus erschienenen Kolumnentexte wurden nun vom Verbrecher Verlag in ein handliches Büchlein zusammengefasst. Dieses trägt selbstverständlich den Titel Analog. Denn Meineckezieht als DJ Vinyl den digitalen Medien vor. Vielleicht aus ideologischen, sicherlich aber ästhetischen Gründen. Die den Texten zur Seite gestellten Illustrationen von Meineckes Frau und Bandkollegin bei den Avantgarde-Poppern F.S.K., Michaela Melián, spiegeln dies wider. Melián, die die Tage selbst ein fantastisches Album bei Gudrun Guts Label Monika Enterprise herausbringt, spielt das Fetischobjekt Vinyl durch: Farbige Kreise mit gestickten Laufrillen, mal aufgemacht wie eine siebenzollige Disco-Single oder das Clubtool überhaupt, die twelve inch. 33 Texte, gepaart mit 33 Platten – Analog wird als DJ-Set aus Text und Ton inszeniert.

Ein durchgängiges Narrativ entfaltet sich über die etwas mehr als hundert Seiten jedoch nicht. Denn das, was ein Clubbesucher Meinecke gegenüber laut einem Text als »unverständlichen Scheiß« bezeichnet hat, schmiegt sich nicht von Text zu Text aneinander, sondern springt hin und her. Die einzige Verklammerung stellt Meinecke selbst dar, der ausgehend von Spaziergängen in Brasilien, Clubnächten in Frankfurt oder Konzertabenden in Berlin seine Gedanken entfaltet. Meineckes idosynkratischer Mix aus Slang, Namedropping und wissenschaftlichen Jargon versperren sich gegen leichte Konsumierbarkeit und vertuschen hier und dort, worauf die Betrachtungen des reisenden DJs, Musikers und Autors hinauswollen. Meineckes Texte, mehr Sound als Schreibe, scheinen dem alten Vorurteil von Messagelosigkeit der elektronischen Musik stattzugeben. Heuristisch sind sie zumindest nicht. Dafür aber voller interessanter Betrachtungen, Gedanken und Gefühle. Meineckes Kolumnen funktionieren in ihrer Gesamtheit nicht wie ein DJ-Set, jeder Text jedoch wie ein guter Track. »Wo die Sprache nur schwer hinkommt, tut sich ein Gefühl von Freiheit auf«, heißt es in seinen eigenen Worten zum Mallarméschen »Sehnsuchtstraum« des Schriftstellers, dem »Mysterium der Musik«.

Meinecke hat sich diese Freiheit genommen, mehrere Freiheiten sogar. Die, zum Privatissimum einzuladen zum Beispiel, lebensnah von sich selbst zu reden und implizit die eigenen Defizite zu thematisieren. Sich mit Musik zu beschäftigen, so heißt es mehrmals, komme immer einem »Lernprozess« gleich. Der DJ, eigentlich Verwalter des guten Geschmacks und coolen Wissens, demontiert den ihn umschwebenden Mythos. Auch wird Meinecke entgegen allen Vorurteilen gegen die hedonistische Selbstbezogenheit der Clubkultur politisch. Spricht über nationale Identität, szeneinterne Distinktionsmechanismen und Homosexualität. Und schert sich dankenswerterweise nicht darum, immer im angemessenen Rahmen zu bleiben. Ob allgemein und vom Kontext diktierten Gegenstand losgelöst oder direkt aus der Plattenkiste und dem popkulturellen Archiv heraus, ob nun höchst persönlich, locker theoretisch, dezent obskurantistisch oder streng historisch – in seinen Kolumnen bewegt sich Meinecke mit einer Spontaneität durch Themen und Stile, die für immer neue Überraschungen sorgt. Der Mangel an Pointen und mundgerechten Statements wird durch die Vielzahl der Anknüpfpunkte mehr als wett gemacht.

Analog bildet keine Story, die Meinecke mit ein paar Handgriffen und dem Gefühl für den richtigen Beat zur richtigen Zeit erzählen würde. Es taugt nicht als DJ-Set, die Texte greifen nicht ineinander über, wie es vielleicht zu erwarten wäre. Ganz so, als wären die verschiedenen bpm-Zahlen nicht kompatibel oder als würde beim entscheidenden Übergang die Nadel springen. Das aber gerade macht dieses kleine Buch so großartig: Es versperrt sich gegen die ganze Riege von Konventionen, die sowohl in der musikalischen wie auch literarischen Welt am Wirken sind. Diese Sammlung von Kurzessays, Tagebuchnotizen, musikalischen Exkursen und kritischen Betrachtungen tanzt zu ihrem ganz eigenen Rhythmus aus der Reihe.

Thomas Meinecke
Analog
Jeder Kolumne ist eine farbige Zeichnungen der Künstlerin und Musikerin Michaela Melián zur Seite gestellt.
Verbrecher
2013 · 14,00 Euro
ISBN:
9783943167436

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