Superheld in Badehose
Batman! Superman! Spiderman! Flash Gordon! Radioactive Man! Vergesst sie alle! Jetzt kommt Flash Preußen. Wenn es je einen Antisuperhelden gegeben hat, dann diesen. Flash Preußen trägt über seinem einfarbigen Superheldenoverall eine gestreifte Badehose, vermutlich aus DDR-Beständen. Und vermutlich hat er immer verschwitze Hände, denn seine schwarzen Latexhandschuhe hat er seit einem düsteren Ereignis in seiner Kindheit nicht mehr abgelegt. Auch nicht in seinem Privatleben, denn er hat keins. Flash ist immer Flash, und vielleicht lassen sich seine cholerischen Launen ganz einfach mit dem Neid auf Bruce Wayne und Co erklären, die nach getaner Arbeit ihre alberne Maskerade in die Garderobe hängen, ein kühles Bier zischen und sich an ihre jeweilige Herzensdame kuscheln dürfen.
Flash Preußen fühlt sich nicht gut. Der Anzug wird langsam zu eng, spannt über der Plautze, Herr Paschke vom Jugendamt, der direkt unter ihm wohnt, geht ihm mächtig auf den Keks, und zu allem Überfluss hat die Nachbarin wieder den Hausflur nicht gewischt. Traurig, genervt, resigniert steht er auf dem Dach und lässt den trüben Blick über die graue Plattenbausiedlung streifen. Flash will sterben. Am liebsten jetzt sofort. Springen. An der Friedenstaube auf der Hauswand vorbeifallen, auf den Betonboden klatschen und das Superheldentum anderen überlassen. Doch da gibt es noch etwas: eine wichtige Aufgabe, eine offene Rechnung.
Er weiß, er wird nicht ruhen können, bevor das nicht erledigt ist, also schwingt er sich mit zweifelhafter Eleganz und nachlassender Agilität in seinen schnittigen Sportwagen und braust davon über Landstraßen, durch Felder und Wälder, kurz: Mitten hinein in die tiefste ostdeutsche Pampa. An den Ort seiner Kindheit. Dorthin, wo alles begann. Er muss ihn finden. Den Zahn. Sonst ist alles verloren. Ein Glück, dass Nachbarin Simone ihm folgt und ein Auge auf ihn hat…
Illustrator Tilo Richter und Autor Jan Kottisch hatten „Flash Preußen“ ursprünglich als Uniarbeit konzipiert. Dass die absurd-komische Geschichte trotzdem den Weg an die Öffentlichkeit fand, ist dem Afkat-Förderpreis zu verdanken, der 2012 erstmals vergeben wurde, und der junge Nachwuchskünstler im Bereich Graphic Novel unterstützen soll. Nun kann man über den Begriff „Graphic Novel“ streiten. Trotz aller Versuche, zu definieren, was genau dahintersteckt, ist er doch kaum mehr als der Versuch, dem Comic einen neuen Anstrich, ein neues Label zu verpassen. Man sagt eben nicht mehr: „Ich lese Comics“ sondern „Ich lese eine Graphic Novel“. Klingt doch gleich viel prätentiöser. Großartige Comics hat es immer gegeben, ebenso wie es zahlreiche verzichtbare Graphic Novels gibt. Diese hier ist – ganz egal, wie man es nun nennen will – keinesfalls verzichtbar. Im Gegenteil, sie ist großartig, angefangen bei den intensiven, atmosphärischen Kohlezeichnungen bis hin zu der urkomischen, wahnsinnig absurden Story um die ultimative Heldenkarikatur.
Wer lange keinen Comic mehr in der Hand hatte – dieser lohnt sich. Und da kaum ein Superheld auf einem Bein stehen kann, ist auch „Flash Preußen“ als Trilogie angelegt. Teil zwei und drei sind bereits in Arbeit. Und wer weiß … vielleicht gibt es dann ja irgendwann eine zweite Trilogie, ein Remake der Trilogie und / oder das unvermeidliche Prequel. Stoff genug bietet der Held in Badehose sicher genug. Er wird später noch genug Zeit haben, sich vom Plattenbaudach zu stürzen.
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